Das ist nun mal so

Malerei Alles sieht sehr einfach aus, aber es steckt viel Lebensweisheit drin: Die Bilder von Martin Assig in der Galerie Diehl berühren mit ihrer Feier des Gegebenen, das eben keinesfalls selbstverständlich ist

Martin Assig, „St. Paul #793 (Du lebst)“, 2017 Foto: Gunter Lepkowski

von Katrin Bettina Müller

Blau ist das Blatt, tintenfüllerblau. Weiß aber schimmert der Papiergrund durch die über das Blatt wimmelnden Pfeile, ausgespart im Blau. Was für ein Durcheinander, ein Kreuz und Quer, beängstigende Unordnung, unmöglich, zu wissen, wohin sie zeigen, welchem man folgen kann. Und doch hat das Blatt nichts Bedrückendes, eher ist das Chaos der Pfeile zu einem meditativen Muster geworden, in dem in einer Bild­ecke ein Gesicht schwebt, gerahmt von farbigen Ringen. Die Augen sind geschlossen, schlafend oder träumend gleitet ein Bewusstsein durch ein Meer an Möglichkeiten.

Die Zeichnung „St. Paul #551“ ist abgebildet in der aktuellen Ausgabe von Lettre International, zusammen mit weiteren Arbeiten des Berliner Malers Martin Assig. Mehr von ihm, kleine und großformatige Papierarbeiten (200 x 154 cm), kann man in der Berliner Galerie Diehl sehen, die den Maler seit 1990 regelmäßig ausstellt. Alle Werke in der Galerie und in Lettre stammen aus der Serie „St. Paul“, die 2009 begonnen wurde und inzwischen mehr als 800 Arbeiten umfasst. Teile davon waren auch schon im Haus am Waldsee (2014) und in einem Museum in Rotterdam (2015/16) zu sehen.

Leuchten der Farben

Tempera, Pigment, Kohle, Ölkreiden und Wachs gehören zu Assigs Materialien. Das Leuchten der Farben in breiten Bändern, die vielen Kringel und Umrahmungen, die Reduzierung in den eingestreuten Gesichtern: das alles bewirkt, dass Assigs Bilder den Betrachter zurückversetzen in Kindheitsempfindungen und an die Lust erinnern, die schon beim Aufklappen des Farbkastens entstand, an das Vergnügen, es kontrastreich knallen zu lassen auf dem Blatt. Ein Glückserleben, das jetzt, aus der Perspektive des Erwachsenen, so einfach scheint und so unverfälscht. Dass es so aber wieder hervorgeholt und reaktiviert werden kann, liegt an etwas, was die Bilder nur an ihren Rändern erzählen.

„Ja! Ich bin es!“ steht groß auf einem Bild in der Galerie Diehl geschrieben, Wort für Wort in einen von farbigen Aureolen umrahmten Tropfen gefasst. Einfach ist die Behauptung, groß wird sie gefeiert. Eben weil sie nicht selbstverständlich ist, weil dies Eins-mit-sich-selbst-Sein eben auch sein Gegenteil kennt, den Verlust, die Auflösung. „Das ist nun mal so“ ist am unteren Rand von „St. Paul #789“ zu lesen, strukturiert wie ein Wandteppich aus horizontalen Bändern in Rot und Orange. Aber zwei Reihen sind in einem wässrigen Grau dazwischengeschoben, die einmal Hände und einmal von Zöpfen gerahmte Gesichter zeigen, zum Ornament aufgereiht zwar und doch schaurig wie Totenköpfe oder Röntgenbilder.

„St. Paul # 797“ ist zweigeteilt, unten sind blaue Wellen, oben rote Linien, hinter denen noch eine andere Zeichnung zu ahnen ist, von einem Zimmer, zu dem der Zugang nicht mehr einfach zu haben ist. „Wem gehört die Welt“ ist auf eingestreuten Wortkarten zu lesen.

Es ist verblüffend, wie Sprach­elemente und die wenigen konkreten Motive sich mit den abstrakten Bildelementen verbinden, wie Strukturen und Farben sich mit Assoziationen und Emotionen verbünden. Vor drei Jahren in der Ausstellung im Haus am Waldsee und jetzt wieder in der Galerie Diehl berührt die Feier des Gegebenen und die starke Fähigkeit des Malers, als Glück oder Geschenk zu begreifen, was eben nicht selbstverständlich ist. Man könnte ja auch schon gestorben sein, aber man ist bisher davongekommen. Jeder, der in seinem Umfeld Krankheit und Tod erlebt hat, kennt diesen Gedanken und wird ihn wiederfinden in „St. Paul“.

Martin Assig, 1959 geboren, hat in Berlin an der Hochschule der Künste studiert und lebt heute hier und im Havelland. Unter den Malern in Berlin kennen ihn alle, er wird von mehreren Galerien vertreten und er hat viele Sammler. Es gibt zahlreiche Kataloge von ihm und Publikationen seiner Arbeiten wie in Lettre International. Dennoch ist sein Name außerhalb der Kunstszene nicht sehr bekannt. Dabei entwickelt er in all seinen Ausstellungen seinen Kosmos weiter, bleibt nah bei sich. Solche Kunst lässt sich schwer einem Label zuschlagen und hat es nie darauf angelegt.

Martin Assig, „Einsicht ­Eigenart“. Galerie Diehl, Niebuhrstraße 2, Di.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 11–14 Uhr. Bis 2. September