Flüchtlingsretter jetzt selbst auf der Flucht

Libyen Die Regierung in Tripolis „koordiniert“ Rettungseinsätze, indem sie die Retter verjagt. Immer mehr Helfer ziehen ab

Libyens Küstenwache im Einsatz vor Tripolis, 9. August Foto: Hani Amara/reuters

von Christian Jakob

BERLIN taz | Nach Ärzte ohne Grenzen (MSF) und der deutschen NGO Sea Eye hat nun auch die Hilfsorganisation Save the Children (StC) die Rettungseinsätze im Mittelmeer vorerst eingestellt. Als Reaktion auf Drohungen durch die libysche Küstenwache beorderte sie ihr Schiff „Vos Hestia“ in den Hafen von Malta zurück.

„Wir haben die Pflicht, die Sicherheit unseres Teams zu gewährleisten“, sagte StC-Operationschef Rob MacGillivray. Er forderte Sicherheitsgarantien für die Crew, sonst müsse man das endgültige Ende der Rettungseinsätze erwägen. Schon die vorläufige Unterbrechung werde „zweifellos Leben in Gefahr bringen“, sagte MacGillivray.

Die Situation vor der libyschen Küste hat sich damit weiter verschärft. Das Rettungsschiff „Iuventa“ der Initiative „Jugend Rettet“ wird bereits von der italienischen Justiz in Sizilien festgehalten, die „Sea Watch“ liegt mit einem Schaden in Malta.

„Es werden mehr Menschen im Mittelmeer sterben, weil es weniger Schiffe vor Ort gibt, und es werden mehr Menschen in Libyen inhaftiert bleiben“, sagte der Vorstandsvorsitzende der deutschen MSF-Sektion, Volker Westerbarkey.

Am Donnerstag hatte die international anerkannte libysche Regierung in der Hauptstadt Tripolis offiziell ein eigenes Seerettungsgebiet proklamiert. „Kein fremdes Schiff hat das Recht, unerlaubt in dieses einzudringen“, sagte Abdelhakim Bouhaliya, Kommandeur der Küstenwache in Tripolis. Marinesprecher Ayoub Qassem sagte, es gehe um eine „unmissverständliche Botschaft an alle, die die libysche Souveränität verletzen und Respekt für unsere Küstenwache und Marine vermissen lassen“.

Was mit denen geschieht, hatte die Küstenwache zwei Tage zuvor demonstriert: Da meldete die spanische Rettungs-NGO Proactiva Open Arms, während eines Rettungseinsatzes mit Warnschüssen von der libyschen Küstenwache bedrängt worden zu sein – in internationalen Gewässern. Das, fürchten die NGOs, könne nun zur Regel werden.

Denn das neue Seerettungsgebiet erstreckt sich offenbar bis zu 70 Meilen von der Küste Libyens entfernt, viel mehr als die bisher geltende 12-Meilen-Zone. Damit würde es praktisch das gesamte Gebiet umfassen, in dem die Seenotfälle derzeit eintreten.

International ist es üblich, dass Meeresanrainerstaaten Rettungseinsätze auch in den an ihre Territorialgewässer angrenzenden internationalen Gewässern koordinieren, in sogenannten Search-and-Rescue-Zonen (SAR). Libyen war bislang dazu nicht imstande. Deshalb hat die italienische Rettungsleitstelle MRCC in Rom alle Hilfseinsätze koordiniert – bis an die Grenze der 12-Meilen-Zone vor Libyen.

„Kein fremdes Schiff hat das Recht, unerlaubt einzudringen“

Der Kommandeur der Küstenwache

Seit Längerem aber hatten die EU und Italien darauf hingearbeitet, dass Libyen eine eigene SAR-Zone ausruft. Die EU-Marinemission Sophia hatte ab dem 27. März auf Malta libysche Küstenwächter geschult, „die Seenotrettung durch mehrere Akteure zu koordinieren“. Eine Ausbildung im Schnellverfahren: Nach nur 12 Tagen, am 7. April, war die Ausbildung schon wieder beendet.

Das mag der Grund dafür sein, dass die Libyer ihre SAR-Zone so brachial auslegen. Denn Rettungskoordination bedeutet eigentlich nicht, andere Schiffe zu vertreiben.

Italien hat derweil, so schrieb die Bundesregierung kürzlich in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken, Libyen bei den „rechtlichen und organisatorischen Vorbereitungen zum Aufbau einer libyschen Seenotrettungsleitstelle sowie der Ausweisung einer eigenen libyschen SAR-Zone“ unterstützt. Am Montag wiegelte die Bundesregierung ab: Es gebe noch kein klares Lagebild darüber, ob Libyen seine SAR-Zone ausgeweitet habe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

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