AktivistInnen erinnern in Berlin seit Jahren an die Opfer von Kolonialismus und rassistischer Gewalt. Der kritische Umgang mit Straßennamen, die in dieser Tradition stehen, ist eines ihrer Ziele Foto: Stefan Boness/Ipon

Neue Namen braucht die Stadt

Orientierung Straßennamen sollen Personen oder Ereignisse würdigen. Doch was, wenn sich die Meinung darüber ändert, wem solche Ehre gebührt? Wenn Kolonialverbrecher im Stadtbild verewigt sind? In der Mohrenstraße demonstrieren Aktivist*innen am Mittwoch erneut für Straßenumbenennungen

Von Uta Schleiermacher

Straßen tragen nicht einfach nur Namen, die die Orientierung erleichtern sollen. Mit Straßennamen werden Persönlichkeiten geehrt oder sie erinnern wohlwollend an Ereignisse. Da sich die Ansichten darüber, wem solche Ehre gebührt, mit der Zeit ändern, haben die Bezirke immer wieder Straßen umbenannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und auch nach 1989 wurden Namen neu bewertet und ausgetauscht.

Das sehen auch die Ausführungsvorschriften zum Berliner Straßengesetz ausdrücklich so vor: Umbenannt werden sollten laut diesen Straßen aus der Zeit des Nationalsozialismus und aus der Zeit zwischen 1945 und 1989, wenn sie nach „aktiven Gegnern der Demokratie“, nach „Wegbereitern und Verfechtern der nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft“ oder der „stalinistischen Gewaltherrschaft“ benannt wurden. Schließlich sollen auch Straßen aus der Zeit vor 1933 umbenannt werden, „wenn diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind“ und „die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen von Berlin schaden würde“.

Die Meinung darüber, welche Straßen dies genau betrifft, gehen in vielen Fällen auseinander. Denn Straßennamen zeigen auch, wer im öffentlichen Raum etwas zu sagen hat und seine Geschichtsdeutung in die Stadtpläne einschreiben darf. Die Initiativen, die sich zum Beispiel seit Langem für die Umbenennung dreier Straßen im Afri­ka­ni­schen Viertel in Wedding eingesetzt haben, haben immer wieder den Eindruck, dass eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der schwarzen Community in Berlin nicht gewünscht ist. Ihre politischen Forderungen blieben oft unbeachtet.

Auch im Fall der Mohrenstraße in Mitte ist der Prozess zäh: Bereits zum vierten Mal werden Aktivist*innen am 23. August, dem Internationalen Tag zur Erinnerung an den Versklavungshandel und seine Abschaffung, die – noch immer ausstehende – Umbenennung der kolonialrassistisch benannten Straße anmahnen.

„Zurzeit setzen wir uns Straße für Straße mit den Bezirken auseinander. Besser wäre natürlich ein stadtweites Erinnerungskonzept“, sagt Tahir Della, Vorstandsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Mit der jetzigen Koalition sei das vielleicht auch umsetzbar. Über das Umbenennen der Straßen könnten koloniale Spuren im öffentlichen Raum sichtbar werden. „Es geht nicht darum, einfach neue Namen zu finden. Der Prozess sollte in Diskussionen und Auseinandersetzungen mit der Kolonialgeschichte eingebettet werden, die in Deutschland noch immer viel zu wenig stattfinden.“ Neue Namen könnten außerdem einen Bezug zu widerständigen Ak­teu­r*in­nen der schwarzen Geschichte herstellen. Della hofft, dass dies auch im Afrikanischen Viertel der Fall sein wird.

Nach wie vor sind zahlreiche Berliner Straßennamen von kolonialen, militaristischen oder antidemokratischen Bestrebungen geprägt – besonders im Westteil der Stadt. Außerdem kommen kaum Namensgeberinnen vor, weshalb neue Straßen möglichst nach Frauen benannt werden sollen. Allzu beliebt sind Umbenennungen allerdings wie erwähnt nicht – An­woh­ner*innen fürchten etwa Aufwand und Kosten für neue Papiere oder Adressänderungen bei Firmen.

In jedem Fall lässt sich an Straßennamen und den Diskussionen über Umbenennungen viel über das Selbstverständnis einer Gesellschaft und ihre Erinnerungspolitik ablesen.

Welche Straßen umstritten sind und warum sie alle im Westteil liegen SEITE 44–45