Hommage auf eigene Weise

Gedenken Der FC Barcelona spielt nach dem Anschlag wieder Fußball, aber der 2:0-Sieg wird dezent bejubelt. Und der Neymar-Transfer ist angesichts des Terrors Nebensache

Noch kein Alltag: Erhöhte Wachsamkeit und Trauer begleiten das erste Spiel des FC Barcelona nach den Anschlägen Foto: reuters

aus Barcelona Florian Haupt

Der Torwart Barcelona Ter Stegen hatte letztlich nicht viel zu tun, die Eigengewächse Barcelona Deulofeu und Barcelona Roberto zeigten eine besonders engagierte Leistung, während das Spiel wie gewohnt um Barcelona Messi kreiste. Alle Barça-Profis hatten vom Stadionsprecher bei Verlesen der Aufstellung den Namen ihrer Stadt vorangestellt bekommen, alle trugen ihn hinten beim Ligaauftakt gegen Betis Sevilla auf dem Trikot. Drei Tage nach der fürchterlichen Terrorattacke ging es im Camp Nou am Sonntagabend nur in zweiter Linie um den Fußball.Das spürte man schon an der Kulisse: mit 56.840 Zuschauern wurde der geringste Zuspruch seit Jahren bei einem Liga­spiel registriert. Allein mit den Sommerferien und der schweren Krise des Vereins, dem Abgang seines Künstlers Neymar, war das nicht erklärbar. Viele Mitglieder und auch Touristen, die für gewöhnlich die Ränge auffüllen, scheuten nach dem Schock vom Donnerstag noch den Besuch einer Massenveranstaltung. Wer kam, verarbeitete vor dem Stadion mit Bekannten das Geschehene.

Die Stimmung also war gedämpft, und der wichtigste Moment des Spiels die Schweigeminute zuvor. Abgelöst wurde sie vom in Spanien zur Hommage üblichen Klatschen und schließlich dem trotzig gerufenen Motto dieser Tage: „No tinc por“ – „ich habe keine Angst.“

In der Fankurve trugen alle Anhänger schwarz, auf einem Transparent zitierten sie aus der Vereinshymne: „Mai ningú no ens podrà tòrcer“ – „Niemand wird uns je brechen können.“ In der Ehrenloge blieben 14 Sitze unbesetzt und schwarz abgedeckt, gemäß der Anzahl der Toten, die inzwischen auf 15 beziffert wird. Der Fahrer eines Pkws, den der mutmaßliche Attentäter nach aktuellem Ermittlungsstand auf seiner Flucht mit einem Messer überwältigte, zählt nun ebenfalls zu den Tatopfern. Die Entführung ereignete sich in der Nähe des Camp Nou, ihr Opfer war ein Exfußballer des nahen Viertligisten FC Vilafranca.

„Kräfte finden, ohne sich von etwas derart Zerstörerischem verängstigen zu lassen“, formulierte Barça-Kapitän Andrés Inies­ta die Herausforderung dieser Tage. Der Sport kann dabei manchmal so unsensibel sein wie in Budapest, wo die Veranstalter den Antrag des spanischen Schwimmers Fernando Alvárez auf eine Schweigeminute ablehnten. Alvárez erteilte die richtige Botschaft, indem er nach Rennbeginn einfach eine Minute auf dem Startblock stehen blieb. Barça wiederum bejubelte seine Treffer zum 2:0-Sieg angemessen dezent und widmete ihn den Opfern und ihren Familien: „Eine Hommage, auf unsere Weise“, nannte der neue Coach Ernesto Valverde seinen Premierenerfolg. Der zweifache Vorbereiter Deulofeu fügte hinzu: „Wir wollten für sie gewinnen. Es war schrecklich. Das muss endlich aufhören.“

Eines Tages wird Barcelona dann womöglich mit derselben Leichtigkeit wie früher zum Font de Canaletes zurückkehren können. An dem Brunnen am oberen Ende der Ramblas sammeln sich die Anhänger normalerweise nach Triumphen der Mannschaft. Hier erfrischte sich Johan Cruyff 1973 am Tag seiner messianisch gefeierten Ankunft; die Legende besagt, dass nach Barcelona zurückkehrt, wer aus dem Canaletes-Brunnen trinkt.

„Kräfte finden,ohne sich verängs­tigen zu lassen“

Andrés Iniesta

Doch hier begann am 17. August 2017 der Attentäter seine Todesfahrt, die Hunderte Meter bis zum Mosaik von Joan Miró an der Oper Licéu gehen sollte und, wie gestern bekannt wurde, nur deshalb nicht noch weiter wütete, weil sich durch die Zusammenstöße mit den Opfern der Airbag aktivierte. Beide Punkte markieren nun den Trauerparcours der Stadt, Anfang und Ende, mit einem Meer von Blumen, Kerzen und Botschaften.

Am Canaletes-Brunnen hängt unter anderem die Kopie eines Fotos aus dem Libanon, wo die Armee nach Rückeroberung eines Gebiets in der nördlichen Beeka-Ebene vom IS am Wochenende auch die spanische Fahne hisste. Davor kommt der größte Strauß von den „Muslimischen Taxifahrern Barcelonas“; einige Kutscher haben dazu die Schilder gelegt, die sonst in den Windschutzscheiben mit dem Wort „Lliure“ ihre Verfügbarkeit anzeigen. Lliure heißt auf Katalanisch: frei.

In der Nacht nach dem Spiel ist die Atmosphäre auf der Rambla weiter andächtig, amüsierwillige Touristen ziehen woanders hin. Barcelona trauert, will trauern. Es wird noch Zeit brauchen, bis es sich wieder stundenlang über so herrliche Nebensächlichkeiten unterhalten kann wie Transfers von Fußballern.