25 Jahre Pogrom von Lichtenhagen

„Es hat sich etwa geändert – zum Besseren“: NSU-Anwalt Daimagüler über die 25 Jahre seit der Brandnacht

Die Eingeschlossenen retteten sich über das Dach

Geschichte Was im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen geschah. Wie Polizei und Gesellschaft vor einem rechten Mob versagten

BERLIN taz | Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen begann am Abend des 22. August 1992. Hunderte Angreifer attackierten unter „Deutschland den Deutschen“-Rufen die Aufnahmestelle für Asylbewerber im „Sonnenblumenhaus“, einem elfstöckigen langgezogenen Plattenbau aus DDR-Zeiten, mit Steinen und Brandsätzen. Die Erstaufnahme war damals völlig überfüllt, zahlreiche Asylbewerber mussten vor dem Gebäude kampieren.

Das Wochenende über eskalierte die Situation, weil Rechtsradikale aus der ganzen Republik zur Unterstützung anreisten. Molotowcocktails flogen, die Polizei war unterlegen und überfordert. Tausende Schaulustige und Sympathisanten aus der Umgebung unterstützten die Krawalle der Gewalttäter.

Am Montagmorgen wurde das Asylbewerberheim schließlich evakuiert, die Lage beruhigte sich aber kaum. Am Abend desselben Tages zog die völlig überforderte Polizei nach einer Straßenschlacht ab, das Wohnheim der Vietnamesen im „Sonnenblumenhaus“ blieb dem Mob überlassen und wurde in Brand gesteckt. Mehr als einhundert Bewohner retteten sich in Todesangst über das Dach des Plattenbaus, nachdem sie die mit Ketten gesicherten Notausgänge aufbrachen, und konnten von dort in einen anderen Teil des Wohnblocks fliehen. Die Feuerwehr kam nicht nahe genug an das Haus heran, weil die Menschenmenge sie massiv behinderte.

Bald danach beschloss der Bundestag eine Verschärfung des Asylrechts. Schon in den Wochen zuvor war dies in vielen Medien und von Politikern gefordert worden. „Das Boot ist voll“, titelte etwa der Spiegel damals. Kritiker monierten, mit der Asylrechtsverschärfung sei man den Gewalttätern entgegengekommen.

Rund 40 Angreifer von Rostock wurden 1992 und 1993 zu Haftstrafen von bis zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Zehn Jahre nach den Ausschreitungen erhielten drei ehemalige Skinheads Bewährungsstrafen – erstmals wegen versuchten Mordes. Damit war zumindest juristisch ein Schlussstrich gezogen.

Die Diskussion über des Pogrom und das offenbare Versagen von Politik, Polizei und Stadtgesellschaft sind in Rostock indes bis heute nicht abgeschlossen. Vor zwei Jahren erst beschloss die Bürgerschaft auf Initiative der „Arbeitsgruppe Gedenken“ die Schaffung einer Projektstelle zur Aufarbeitung der rassistischen Ausschreitungen von 1992. Ein neues Archiv mit Dokumenten, Zeitzeugenberichten und Presseartikeln soll zugleich Grundlage für die Bildungsarbeit etwa in Schulen sein. Daniel Bax