Um den Abgrund herum

Schwankhalle Das Team des Kulturzentrums geht erhobenen Hauptes in die nächste Saison. Nach anfänglichem Gegenwind hat man sich neu aufgestellt

Ein allegorisches Bild: So war es früher – der Zuschauer blickte nicht durch, die Kunst blieb auf Distanz. Heute ist es anders Foto: Theresa Rauter

von Jens Fischer

Gerade heraus ist die Schwankhallen-Chefin. Als sie vor einem Jahr sauer war – zeigte sie sich stinkesauer. Da versuchte ihr Team eine neue Ära des Kulturzentrums zu begründen, holte Promis der Performance-Szene – und fast kein Schwein guckte. Durchschnittlich blieben annähernd zwei Drittel aller Plätze leer. Alarmstimmung auch in der Kulturbehörde. Pirkko Huse­mann stand zwölf Monate nach Dienstbeginn bereits am Abgrund. Ist dann aber viele Schritte drumherumgegangen und nicht einfach nur einen weiter. Jetzt kann sie verkünden: Gerettet! Sie musste ihre Mietwohnung nicht kündigen, sondern habe das kulturpolitische Signal bekommen, bis 2021 bleiben zu dürfen.

Kultur-Staatssekretärin Carmen Emigholz lässt verkünden, „die Zahlen haben sich sehr verbessert“, womit bewiesen wäre, „es gibt in Bremen ein Publikum für Husemanns Angebote“. Es sei also richtig gewesen, ihr ein weiteres Jahr zu geben.

Die von der Schwankhalle vorgestellten Eckdaten besagen: In Husemanns zweiter Saison waren mehr als zwei Drittel aller Plätze besetzt. 9.358 Zuschauer seien zu 154 Veranstaltungen gekommen. 2015/16 hätten 6.290 Menschen 125 Darbietungen besucht. Noch größer ist die Steigerung bei den eingeworbenen Drittmitteln. 2016 waren es 45.000 Euro, 2017 sind es 125.000 Euro. Bremen subventioniert das Haus mit 768.000 Euro pro Saison. Auch die Ticket­erlöse befinden sich laut Husemann im Plan.

Wie der jetzige Erfolg zu erklären ist? „Steter Tropfen höhlt den Stein“, so Husemann. 70 Prozent der Besucher kämen dank Mund-zu-Mund-Propaganda in die Schwankhalle. Und so dauere es halt, bis sich der radikale Profilwechsel des Hauses herumgesprochen habe und auch das Schwankhallen-Team in die örtliche Kunst- und Geisteswissenschaftler-Szene vernetzt sei.

Es dauert, bis der radikale Profilwechsel des Hauses sich herumgesprochen hat

Dass sich die anderen Hansestädter doch noch peu à peu anfreunden mit dem interdisziplinären, partizipativen, postdramatischen Diskurs- und Performancetheater, in dem nicht Schauspielvirtuosen eine Rolle, sondern darstellende (Lebens-)Künstler sich selbst verkörpern, hat auch damit zu tun, dass Husemann Grundlegendes geändert hat. Das erst nur geduldete Steptext Dance Project wurde aufgrund des Zuspruchs nicht aus dem Haus gedrängt, sondern ist nun mit einem festen Nutzungsvertrag ausgestattet – und für ein Viertel des Programm­angebots verantwortlich. Da die von Husemann so geschätzten „abstrakt formalistischen“ Darbietungen kaum, die „gesellschaftlich-politischen“ hingegen sehr gut nachgefragt wären, habe sie das Angebot in dieses Segment verlagert.

Geplant war, die Schwankhalle als Gastspiel- und Produktionsort nationaler und internationaler zu etablieren, nicht als Labor lokaler Künstler. Da aber gerade deren Produktionen bestens besucht würden, sind nun die Hälfte aller Premieren und Residenzen (kostenlose Nutzung von Proberäumen und Unterkunft) der freien Bremer Szene zuzurechnen. In der kommenden Spielzeit soll es auch erstmals Einführungsvorträge geben. Als Fortsetzung des Versuchs, die Erklär- und Werbetexte weniger insiderisch verschwurbelt zu formulieren.

Die Saisoneröffnung feiert die Schwankhalle „niedrigschwellig“ vom 2. bis 9. September mit einer „Restsommer-Festwoche“. Eine Deichbar ist am Werdersee geöffnet – bei der O-Ton-Sammelstelle „Der Apparat“ kann jeder teilnehmender Besucher werden: eine ironisch-ernste Installation zum Datenspeicherwahn sozialer Medien, die auch als Verkupplungsmaschine nutzbar ist. Wer also mal irgendwen kennenlernen möchte, nimmt an einem Ferngespräch teil.

www.schwankhalle.de