Ein lautstarkes Brausen und Grollen hob an

KOLLEKTIVIMPROVISATION Das Peter Brötzmann Chicago Tentet zeigte im ausverkauften HAU 2 ein schönes Beispiel sozialen Miteinanders

Brötzmanns Musik ist konstruktiv, auch wo sie destruktiv anmutet

Gleich müssten sie zusammenstoßen: Peter Brötzmann und Ken Vandermark laufen aufeinander zu und entreißen ihren Saxophonen ein lautstarkes Brausen. Aber die befürchtete Kollision fällt aus.

Der Free Jazz, den Brötzmanns Chicago Tentet am Montagabend im HAU 2 auf die Bühne brachte, geriet mehrmals vehement, doch bot er ein schönes Beispiel sozialen Miteinanders: So, wie sich Menschen finden, Erfahrungen machen und teilen, auseinander gehen und wieder treffen.

Peter Brötzmann eröffnete das Konzert mit einem sonoren, raumfüllenden Sound, seine Mitmusiker stiegen nach und nach ein. Da waren polyrhythmischer Beat und Swing, gespielt von den beiden Drummern Paal Nilssen-Love und Michael Zerang, Kent Kesslers warmer Akustikbass und Per-Åke Holmlanders satte Tuba. Fanfarenartige, helle Töne mischten sich ein, als Joe McPhee zur Taschentrompete griff, Hannes Bauers und Jeb Bishops Posaunen war ein enthusiastisches Grollen zu vernehmen. Dann Klangfarben aus dem Cello Fred Lonberg-Holms, der auch mit elektronischen Effekten intervenierte. Mats Gustafsson blies seine Saxophone mit einer böigen Wucht.

Das kleine große Orchester spielte vier Stücke: Zweimal dreißig Minuten und zwei kürzere Zugaben. Bis Peter Brötzmann zu einer Bewegung ansetzte, die man dann doch nicht erwartet hatte: Er machte einen jähen Sprung, bedankte sich und befand, dem Guten sei jetzt genug.

Diesem Guten ließen sich verschiedene Namen geben: Improvisierte Musik. Avantgarde. Geräuschjazz. Brötzmann gilt als Vater des europäischen Free Jazz. 1968 spielte er in großer Besetzung mit Willem Breuker, Evan Parker, Fred Van Hove, Peter Kowald, Buschi Niebergall, Han Bennink, Sven-Åke Johansson das Album „Machine Gun“ ein: Ein Angriff auf Hörkonventionen und Konsumentennerven. Doch gab Brötzmann später zu verstehen, dass er nicht einzig und allein als Klangzerstörer verstanden werden wolle, nachzulesen zum Beispiel in den Linernotes von Steve Lake zu dem Last-Exit-Album „Köln“ (1990). Last Exit war Brötzmanns Entwurf eines elektrifizierten Free Jazz, den er mit Sonny Sharrock, Bill Laswell und Ronald Shannon Jackson umsetzte.

Brötzmanns Musik ist konstruktiv, auch wo sie destruktiv anmutet. Und das Spiel seines Chicago Tentets die Umsetzung der Utopie, die besagt: Der Eine braucht die Anderen, das Ganze ist nichts ohne seine einzelnen Teile. ROBERT MIESSNER