Carsten Brosda über den Wert der Kultur: „Ich muss mich nicht profilieren“

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda führt die Linie seiner Exchefin Barbara Kisseler fort. Ob er das Prekariat freier Künstler beenden kann, weiß er noch nicht

Will gar nicht so hoch hinaus: Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda Foto: Christian Charisius/dpa

taz: Herr Brosda, haben Sie unter Hamburgs Politikern wirklich mehr Kulturfreunde gefunden als Ihre Vorgängerin Barbara Kisseler?

Carsten Brosda: Ob mehr, weiß ich nicht. Auf jeden Fall habe ich dort viele Kulturfreunde vorgefunden. Es liegt vielleicht daran, dass ich etwas kulanter bin. Ich habe mich ja lange in der interkulturellen Verständigungsarbeit engagiert, und dort bezeichnet „Kultur“ die Gesamtheit aller Lebensformen einer Gruppe. Das ist der anthropologisch weiteste Kulturbegriff. Ich habe aber in vielen Gesprächen mit Barbara Kisseler eine hohe Übereinstimmung in dem gefunden, was wir für wichtig halten.

Es geht also weiter wie bisher?

Barbara Kisseler hat viele Linien gelegt, die man gut weiterverfolgen kann. Deshalb sehe ich keinen Grund, mich dadurch zu profilieren, dass ich alles anders mache. Wir haben ein gut bestelltes Feld, gute Akzente, und das wird weiter gut umgesetzt und weiter entwickelt.

Wobei man das Thalia-Theater durchaus mal so hoch subventionieren könnte wie das Deutsche Schauspielhaus.

Da stehen zwei unterschiedliche Zahlen. Aber die kann man nicht wirklich vergleichen. Das Schauspielhaus finanziert zum Beispiel zusätzlich eine Kinder- und Jugendtheatersparte. Unser Maßstab muss doch sein: Hat eine Kultureinrichtung die Mittel zur Verfügung, die sie braucht, um ihre Programmatik umzusetzen? Darüber sprechen wir mit den Leitungen der Häuser, und da kommen wir allerorten gut voran.

Eine Aufstockung für das Thalia ist nicht geplant?

Wir arbeiten daran, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Das hat nicht immer mit der Logik „mehr Geld“ zu tun.

42, Politikwissenschaftler, ist seit Februar 2017 Chef der Hamburger Kulturbehörde, wo er zuvor Staatsrat war. Vorgängerin Barbara Kisseler war im Oktober 2016 gestorben.

Erwägen Sie auch neue Förderstrukturen für freie Theater? Weg von Projektförderungen, hin zu mehrjähriger Förderung und Planungssicherheit?

Wir haben bereits im aktuellen Doppelhaushalt die Mittel für die freie Theater- und Performance-Szene erhöht, damit die vom Dachverband empfohlenen Honorar-Untergrenzen eingehalten werden können. Was von den Empfehlungen der 2011 im Auftrag unserer Behörde erstellten Potenzialanalyse der freien Theater- und Tanzszene noch aussteht, ist eine mehrjährige Repertoire- sowie eine Wiederaufnahmeförderung. Darum müssen wir uns in der Zukunft noch kümmern.

Sie haben mal gesagt, Kultur solle kein Standortmarketing sein. Die Elbphilharmonie ist es aber doch. Viele Touristen kommen nur ihretwegen.

Kulturpolitik mit Standort-Positionierung zu begründen, war ein naheliegender Kurzschluss der letzten Jahre – weil es leicht ist, mit diesem Argument bei denen Geld zu akquirieren, denen Kultur sonst nicht so wichtig ist. Allerdings können diese Leute irgendwann sagen: Jetzt brauchen wir das nicht mehr. Aber ich brauche Kultur nicht, um irgendetwas zu tun, sondern ich brauche Kultur an sich. Die Elbphilharmonie zu bauen, um den Bilbao-Effekt zu erzielen, wäre also die falsche Begründung. Wenn sich angesichts eines kulturell attraktiven Konzerthauses aber Dritte überlegen, wie sie es bekannter machen können, habe ich nichts dagegen. Ich finde es großartig, wenn wir Hamburg mit einem Haus der Kultur international bekannt machen.

Aber entzieht die Elbphilharmonie anderen Kulturinstitutionen nicht Aufmerksamkeit?

Ich vermute eher, dass mehr Kulturinteressierte in die Stadt kommen. Sie gehen am Abend ins Konzert und am nächsten Morgen ins Museum.

Ist das mit Zahlen belegt?

Noch nicht. Aber viele Museumsleute berichten uns, dass jetzt mehr Leute kommen, die wegen der Elbphilharmonie hier sind. Dieses Potenzial müssen wir heben. Die Deichtorhallen haben es zum Beispiel vorgemacht: Die Eintrittskarte für die Schau „Elbphilharmonie revisited“ war zugleich Karte für die Elbphilharmonie-Plaza. Durch solche Kombitickets könnte man sich wechselseitig an die Besucherströme andocken.

Der exzellente Elbphilharmonie-Saal und die internationalen Gastorchester haben auch gezeigt, dass die NDR-Elbphilharmoniker nicht erstklassig sind. Kein gutes Signal der „Musikstadt Hamburg“ an die Welt.

Ich halte sowohl das NDR-Elbphilharmonie-Orchester als auch das Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano für herausragend. Aber beide haben natürlich noch Arbeit vor sich, und diese Herausforderung nehmen sie gern an. Mit Alan Gilbert übernimmt 2019 der langjährige Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra das NDR-Elbphilharmonie-Orchester. Und der tut das ja nicht, weil er das Gefühl hat, er geht zu einem schlechten Orchester.

Und wie wollen Sie die Förderung freier Künstler neu strukturieren? Als prekäres Projekt-Hopping oder Verstetigung für funktionierende Künstlerhäuser und Kollektive?

In der Tat gehen unsere Förderinstrumente teils auf die 1970er-Jahre zurück. Deshalb sprechen wir mit der Kunstkommission darüber, welche Strukturen wir brauchen. Die Ideen sortieren wir gerade und werden 2018 einen Vorschlag machen.

Wie könnte der aussehen?

Das besprechen und entwickeln wir mit den Künstlerinnen und Künstlern. Wenn Sie aus der Projektförderung rausgehen, fördern Sie stattdessen Strukturen und Institutionen. Das ist für diejenigen attraktiv, die schon da sind, erschwert es aber neu Hinzukommenden. Schon jetzt fließen über 80 Prozent des Kulturetats in institutionalisierte Förderung. Den frei zu vergebenden Anteil weiter zu verringern, erfordert eine gründliche Diskussion. Das Geld käme ja nicht obendrauf, sondern würde umgeschichtet.

Die gerade zum zweiten Mal ausgeschriebene Stadtkuratorin ist so eine Institutionalisierung. Sollte man nicht besser den Projekttopf „Kunst im ­öffentlichen Raum“ aufstocken?

Die Kunstkommission hat sich klar dafür ausgesprochen, solch einen temporären Kristallisationspunkt für unsere Debatten zu schaffen, und ich finde das richtig. Früher gab es einen Automatismus „Kunst am Bau“, sodass jeder Bauherr ein Kunstwerk einplanen musste – von wechselnder Qualität. Da zu schauen: Wie sieht die Gestaltung des öffentlichen Raums mit künstlerischen Interventionen aus, ist schon wichtig. Ein gelungenes Beispiel ist derzeit die „Goldene Wand“ von Boran Burchhardt auf der Hamburger Veddel.

Das war keine Initiative der Stadtkuratorin.

Nein, aber ein Produkt aus dem Fördertopf, aus dem auch die Stadtkuratorin finanziert wird. Wir reden hier ja über das Budget „Kunst im öffentlichen Raum“, und die vorige Stadtkuratorin verfolgte einen eher diskursiven Ansatz. Der oder die nächste StadtkuratorIn soll stärker in eine praktische Umsetzung gehen.

In welcher Form?

Das Thema soll sein: Wie kann man den öffentlichen Raum mit Kunst gestalten und die Bevölkerung an diesem Diskurs beteiligen? Burchhardts „Goldene Wand“ etwa bildet einen Kristallisationspunkt für Auseinandersetzungen.

Was soll ein Stadtkurator da noch tun?

Den Diskurs unterstützen und vernetzen. Ob wir dieses Amt irgendwann verstetigen, ist aber noch offen.

Impulse soll auch das geplante Deutsche Hafenmuseum bringen. Wie soll es sich vom Altonaer Museum, dem Museum für Hamburgische Geschichte und dem Maritimen Museum Peter Tamms abgrenzen?

Bis auf das privat geführte Maritime Museum sind alle Genannten in die Entwicklung unmittelbar einbezogen, weil die Stiftung Historische Museen Hamburg das Konzept erarbeitet. Da wird es auch darum gehen, die hafenbezogenen Bestände der anderen Museen als Grundlage für das Deutsche Hafenmuseum zu nehmen.

Das wird in diesen Häusern empfindliche Lücken reißen.

Im Gegenteil: Diese Museen bekommen mehr Raum, um Hamburgs Geschichte jenseits des Hafens zu erzählen. Und die Museumsdirektoren signalisieren, dass sie sich über diese Entwicklungsoptionen freuen.

Und das Museum Tamm?

Tamm erzählt die Geschichte der Seefahrt von der Seeseite aus, während das Hafenmuseum von der Landseite aus die städtischen Strukturen, die logistischen und ökonomischen Rahmenbedingungen einer Hafenstadt darstellen soll. Denn es soll ja nicht nur romantisieren, sondern auch von Freihandel und Globalisierung erzählen.

Und wohin steuert das Völkerkundemuseum, das seit kurzem Barbara Plankensteiner leitet? Gehört diese kolonialistische Institution nicht abgeschafft?

In der Tat stutzt man bei dem anachronistischen Begriff „Völkerkunde“. Und die Sammlung dieses Hauses ist fast vollständig aus kolonialen Bezügen entstanden. Trotzdem glaube ich, dass wir den Blick auf andere Kulturen weiter brauchen, um die moderne transkulturelle Vernetzung zu verstehen. Andererseits wird das ethnografische Museum der Zukunft ergänzt um die künstlerische Dimension, denn viele Exponate bedeuten künstlerische Weltaneignung. So ein Haus kann und muss mehr sein als ein wichtiger Begegnungsort für die Communitys, aus deren Kulturen es seine Sammlung schöpft.

Exdirektor Wulf Köpke hat diesen Begegnungsort forciert und das als Integrationsbeitrag verstanden.

Migration und Integration sollten nicht in ein Völkerkundemuseum abgeschoben werden. Sie beschäftigen uns überall. Interessant fand ich das Projekt „Open Access“, für das Hamburgs Kunsthalle Geflüchtete einlud, ihren Blick auf die Sammlung zu präsentieren. Das ist eine sehr produktive Aneignung kultureller Kontexte.

Zum Schluss: Was wäre Hamburgs kulturelles Alleinstellungsmerkmal gegenüber Berlin?

Ich kenne keine Stadt in Deutschland mit so lebendigen kreativen Kontrasten und gegensätzlichen Milieus. Hamburg in seiner Widerborstigkeit bietet da gerade für KünstlerInnen und Kreative eine ganz andere Projektions- und Widerstandsfläche als eine Stadt, die ein relaxtes „Komm her, sei doch dabei“ ausstrahlt. Die Wattewand ist nicht immer der beste Sparringspartner.

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