Museum auf der Kippe

JERUSALEM Dem Museum on the Seam droht die Einstellung der Zuschüsse seitens der Verlegerfamilie Holtzbrinck

Sorgt sich: Museumsdirektor Raphie Etgar Foto: Susanne Knaul

von Susanne Knaul

Durch den schmalen Spalt einer Schießscharte müssen sich die Freunde moderner Kunst drängeln, um die Eingangstür des Museum on the Seam – auf Deutsch in etwa „Museum auf der Naht“ – in Jerusalem zu erreichen. Eine menschengroße schwarze Maske empfängt dort die Besucher der Ausstellung „Though Shalt Not“, die aktuell Werke von weltlichen und ultraorthodoxen Juden zeigt. Du sollst dir kein Bildnis machen, ist das Gebot, den der Titel meint. Es könnte allerdings die letzte Ausstellung in dem Museum sein. „Wenn jetzt nicht noch ein Wunder geschieht, müssen wir Ende August schließen“, sagt Museumsdirektor Raphie Etgar.

Was ist passiert? Die bisherigen Förderer, die deutsche Verlegerfamilie von Holtzbrinck, stellte nach fast 50 Jahren zunächst die Überweisungen ein. Die einstigen Förderer teilten mit, sie wollten verstärkt in den Jugendaustausch investieren und zögen deshalb ihre Zuwendungen zurück. Monika Schoeller, Tochter des Verlegers Georg von Holtzbrinck und Mäzenin, will nun die Zuschüsse bis zum Ende des Jahres vorstrecken und mit ihrer Familie über „Möglichkeiten der weiteren Unterstützung“ verhandeln. Ergebnis: offen.

Seinen Namen trägt das Museum on the Seam deshalb, weil es auf der Grenze zwischen dem arabischen Ostjerusalem und dem jüdischen Westen der Stadt liegt. Jenseits der vierspurigen Straße und der Stadtbahn leben die Palästinenser. Bis zum Sechstagekrieg vor genau 50 Jahren trennte hier eine Mauer Israel von Jordanien. Das dreistöckige Haus, aus dem seine arabischen Eigentümer kurz nach Staatsgründung geflohen waren, diente bis 1967 den israelische Soldaten als Stützpunkt. „Turge­man post“, hieß es, bis Bürgermeister Teddy Kollek und sein enger Frankfurter Freund ­Georg von Holtzbrinck den Armeeposten zu einem Museum machten. Holtzbrinck, so heißt es auf der Webseite, glaubte an „Freiheit, Gleichheit und Koexistenz“. Über die von Kollek gegründete Jerusalem Foun­dation finanzierte der deutsche Verleger die Renovierung des alten Hauses, in dem dann rund 25 Jahre eine Dauerausstellung über die Wiedervereinigung Jerusalems lief.

Mitte der neunziger Jahre machte sich Kurator Etgar für eine Modernisierung des Museums stark. Georg von Holtzbrinck war inzwischen verstorben, trotzdem kam die Verlegerfamilie für den Unterhalt des Museums weiter auf. Etgar stieß mit seiner Idee für eine zeitgemäßere Ausstellung bei den Kindern von Holtzbrincks auf offene Ohren. Die Euphorie über den Kriegsgewinn war zu diesem Zeitpunkt schon lange vorbei. Stattdessen nahm der Widerstand der Palästinenser gegen die Besatzung Form an. „Die Intifada weckte uns Israelis aus der Illusion auf, dass alles in Ordnung sei“.

Etgar nannte das Haus künftig Museum on the Seam und zeigte zunächst eine Ausstellung, die sich, wie einst Gründervater Georg von Holtzbrinck, Toleranz und Koexistenz zum Ziel setzte, und die später in 28 Städten weltweit lief. Durch die finanzielle Hilfe der von Holtzbrincks war das Haus staatlich unabhängig und konnte sich erlauben, was nur wenige andere israelische Kultureinrichtungen wagten: arabische Künstler zu zeigen. „Tatsächlich ist die laufende Ausstellung die erste, an der ausschließlich Juden teilnehmen“, sagt Etgar. Nachdenklich fügt er hinzu: „So viele Jahre hat uns die Familie Holtzbrinck finanziert“, sagt Direktor Etgar. Das Team an der Naht habe sich komplett auf die Ausstellungen konzentrieren können. „Dafür sind wir sehr dankbar.“

In den letzten Monaten kommt der Kurator nur noch nebenberuflich dazu, sich um Kunst zu kümmern. „Ich bin zum Bettler geworden“, sagt er und schüttelt den Kopf. Seine Suche nach alternativen Finanziers blieb erfolglos. „Früher waren es 13 Mitarbeiter, heute sind wir nur noch zu dritt“, sagt Etgar. „Jeder von uns übernimmt vier Aufgaben und verdient nur noch die Hälfte.“ Erst als er durch die Ausstellung führt, erhellt sich die düstere Stimmung des Kurators.

Ein metallener Arm, an dem eine Faust montiert ist, schlägt motorisch vor und zurück. „Beichtmaschine“ nennt Ken Goldmann sein Werk. Etgar macht auf ein Buch aufmerksam, das von zwei Seiten gebunden ist und deshalb nicht geöffnet werden kann. Die Künstlerin Ester Schneider kritisiert, dass das Studium der heiligen Texte allein Männern vorbehalten ist. Dass ultraorthodoxe Juden künstlerisch tätig sind, ist so ungewöhnlich, dass einige Künstler ihre Werke aus Angst nicht namentlich zeichneten.

Kunst und Religion gehen im Judentum schon seit Moses nicht gut zusammen. Das zweite Gebot verbietet, streng ausgelegt, nicht nur das Bildnis von Gott, sondern auch von den Menschen und aller Geschöpfe. „Einen Michelangelo haben die Juden nicht.“ Etgar ist sichtbar stolz auf die aktuelle Sammlung, die „viele Feministinnen“ aus dem ultraorthodoxen Sektor zeigt und sogar Künstler aus dem benachbarten Viertel Mea Schearim, wo die Frömmsten der Frommen im Land leben. Parallel sind weltliche und erklärtermaßen antireligiöse Künstler zu sehen, die Szenen aus dem Alten Testament zum Thema machen. „Teilen“ ist Etgars Zauberwort für das friedliche Miteinander zwischen Juden und Arabern, Frommen und Welt­lichen. Was sein Museum betrifft, sieht er die Weltlichen auf dem Rückzug. „Hier wird bestimmt eine Jeschiwa (jüdische Religionsschule) entstehen, wenn das Museum schließt.“