Sperrige
Einblicke

HANDVERLESEN Die Dokfilmwoche zeigt Filme des letzten Jahres, die es noch nicht ins reguläre Kinoprogramm geschafft haben

Vermächtnis: Ein Jahr lang ist Michael Glawogger für „Untitled“ durch die Welt gereist, bevor der an Malaria erkrankte Regisseur verstarb Foto: Promo

von Silvia Hallensleben

„Welche Probleme wollt ihr in dem Film darstellen?“, fragt ein kambodschanischer Dorfbewohner seine Nachbarn in abendlicher Runde. „Wie wollt ihr zeigen, dass wir unsere Felder an die Firmen verloren haben? Wir sind keine Schauspieler. Wir sind Bauern. So etwas haben wir nie gelernt.“ Die Antwort gibt sein Kollege Binchey: „Es ist nicht ganz einfach, aber es gibt da ein paar Tricks, … schließlich kennen wir uns aus.“

Im eindrucksvollen Film „Mirr“ des Schweizer Anthropologen Mehdi Sahedi erzählen Binchey und andere Dorfbewohner in den Hauptrollen vom Landraub durch den Kautschuk­anbau beim Volk der Bunong. Ein trauriger, aber auch schöner und vielschichtiger Film, in dem die oben angerissene Debatte zur filmischen Repräsentation einen wichtigen Platz einnimmt. Dabei zeigt „Mirr“, dass engagiertes Kino nicht plakativ sein muss.

Und demonstriert, wie auch die anderen Filme im Programm, dass die Köpfe hinter der Kreuzberger dokfilmwoche einen Begriff vom Dokumentarfilm pflegen, der solch selbstreflexiv offen gelegte Inszenierung den „authentisch“ zurecht getrimmten „Selbstversuchen“ vorzieht. Seit vier Jahren findet die Filmschau nun schon statt und präsentiert dem Publikum in den Kinos fsk und Sputnik eine handverlesene Auswahl an Filmen des letzten Jahres, die es bisher nicht aus dem Festivalzirkus in das reguläre Kinoprogramm geschafft haben.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich, bei „Investigating Paradise“ dürfte es vor allem die sperrige Länge von über zwei Stunden sein, das Thema jedenfalls ist drängend aktuell. Dazu schickt Regisseur Merzak Allouache eine fiktive Reporterin auf eine reale Recherche quer durch die algerische Gesellschaft, um Quellen und Folgen der von islamistischen TV-Predigern propagierten Jenseitsversprechungen (besonders die jedem Gotteskrieger zustehenden berüchtigten 72 Jungfrauen) zu erforschen. Allouaches Film findet hinter der sakralen Pornografie eine Theologie des Todes und zeigt Macht und Schrecken wahhabitischer Propaganda.

Es geht um verdrängte Geschichte wie die Gegenwart andauernder Katastrophen

Bei der ganz persönlichen Seite der Religion beginnt dagegen ein Film, in dem der Filmemacher Eli Roland Sachs den Weg seines Bruders zum salafistischen Islam und dann zum Bahaitum begleitet. Dabei wird in „Bruder Jakob“ schon bald deutlich, dass die religiöse Suche des zweifachen Konvertiten auch eine mittelständische bundesdeutsche Lebenswirklichkeit fokussiert, die dem ernsthaften jungen Mann wenig an Sinn bieten kann.

Ein merkwürdiger blinder Fleck sind in „Bruder Jakob“ die näheren Familienumstände jenseits der Bruderbeziehung und einer Kindheit mit vielen internationalen Umzügen, die Eltern der beiden kommen erst gar nicht vor. Ausgiebigste Entschädigung für solche Abstinenz gibt es in der familiären Dreiecks-Studie „Er Sie Ich“, in der die HFF-Absolventin Carlotta Kittel die Beziehungen zwischen ihren seit ihrer Geburt getrennt lebenden Eltern (und sich selbst) und die Erzählungen darüber mit fast klinischer Nüchternheit registriert. Dafür befragt sie Vater und Mutter getrennt zur Beziehungsgeschichte und lässt sie dann die aufgezeichneten Erzählungen gegenseitig und separat kommentieren. Das formal minimalistische Ergebnis ist – klug montiert – auch für Außenstehende erkenntnisfördernd, das Geschlechterrollenverhalten so klischeegemäß, dass es – letztendliche mütterliche Vorwürfe an die Tochter inbegriffen – oft schon wie deftige Realsatire wirkt.

Neun weitere Filme stehen auf dem Programm, die vom endzeitlich postindustriellen Georgien („City of the sun“, R: Rati Oneli) über die Lage bäuerlicher Arbeit in Österreich („Holz, Erde, Fleisch“, R: Sigmund Steiner) bis zu Manuel Abramovichsminutiösen Einblicken in die argentinische Militärausbildung führen („Soldado“). Es gibt die Wiederkehr verdrängter Geschichte und die Gegenwart andauernder Katastrophen. Und mit „Untitled“ den letzten Film des 2014 beim Dreh in Afrika verstorbenen Michael Glawogger. Nur ein gewisser Donald Trump kommt, so viel sei versprochen, (noch) nirgendwo vor.

Die Kreuzberger dokfilmwoche läuft vom 31. 8. bis 6. 9 in den Kinos fsk und Sputnik. www.dokfilmwoche.peripherfilm.de