Mit fremden Augen

Ausstellung Türkische und deutsche FotografInnen tauschen für einen Sommer die Orte – und konfrontieren das lokale Publikum mit dem fremden Blick auf ihre Stadt

Izmir, Bremens türkische Partnerstadt, gilt unter den Städten der Türkei als die sekulärste und westlichste. Nirgendwo war die Ablehnung im Frühjahr bei der Volksabstimmung zum Präsidialsystem so groß wie in der drittgrößten Stadt des Landes. Selbstverständlich zieht die klerikal gewendete Diktatur von Erdogans AKP an der Hafenstadt nicht einfach so vorbei – die Fotografien, die derzeit in der Städtischen Galerie zu sehen sind, zeigen, dass es auch in der miesen politischen Lage immer auch eine gewisse Freiheit im Alltag und im Denken gibt. Und das trifft nicht nur auf Izmir zu, sondern auf die gesamte Türkei.

Im vergangenen Jahr organisierte die Städtische Galerie Bremen gemeinsam mit dem Goethe Institut Izmir ein Austauschprogramm zwischen den beiden Städten. Ganz klassisch wurden je drei junge FotografInnen in die je andere Stadt geschickt, um dort mit ihrer Kamera den städtischen Raum zu erkunden. Die maßgebliche Idee dahinter entspricht Ansätzen moderner Ethnologie: fremde Augen können die eigene vertraute Umgebung entfremden und damit sichtbar machen, was bislang unsichtbar war. Auf diese Weise verbrachten Mehmet Fatih Yelmen, Nilay Islek und Alahattin Kanlıoğlu ihren letztjährigen Sommer in Bremen, während Anja Engelke, Cosima Hanebeck und Jaek Lee in Izmir waren. Das lokale Publikum soll mit dem fremden Blick auf ihre Stadt konfrontiert werden. Im November wird die Ausstellung im Fotomuseum in Izmir gezeigt.

Für das Bremer Publikum dürfte die Bilderserie „Bremen’De Dans“ (Tanzen in Bremen) von Alahattin Kanlıoğlu die größte Herausforderung darstellen. Kanlıoğlu, der in Izmir an der Fakultät für Kommunikationswissenschaften Fotografie unterrichtet, hat mit Mitgliedern des Bremer Tanztheaters Steptext verschiedene Orte neu animiert. Neben der Teerhofinsel, der Liebfrauenkirch-Arkade oder dem Steg hinter der Kunsthalle sind es auch inhaltsstarke Baudenkmäler – und da wird es spannend. Was geschieht, wenn sich eine Tänzerin auf Anweisung des türkischen Fotografen in die breiten Arme einer Kriegsgefangenenfigur des mindestens national gesinnten Bildhauers Herbert Kubika fallen lässt? Was geschieht, wenn ein Tänzer auf den umgefallenen Säulen einer Ruine tanzt, mit der der Künstler Hawoli das Haus des Reichs, das heutige Finanzamt spiegelt?

Mehmet Fahti Yelmen hat in seiner Schwarz-Weiß-Serie „Mobile Bremen“ Menschen fotografiert, die in der Bremer Innenstadt unterwegs sind. Dabei kommt dem konkreten Ort jedoch keinerlei Bedeutung zu. Alle Personen wirken sehr zufällig an den immer etwas abseitig wirkenden Plätzen. Selbst dann, wenn es sich um die Bremer Bürgerschaft handelt – und der Mann mit der Sonnenbrille, der cool davor seine Zigarette raucht, der kulturpolitische Sprecher der CDU Claas Rohmeyer ist.

Was gibt es in Izmir zu sehen? Anja Engelke hat in ihrer Serie „The Ferry“ Passagiere verschiedener Fähren portraitiert, je einzeln oder in Paaren. An ihrer Auswahl der Reisenden wird sehr deutlich, wie sekulär Izmir ist. Die Kleidung der Frauen unterschiedlichen Alters deckt sehr verschiedene westliche Stile ab, islamische Bekleidung ist hingegen selten. In der europäischen Diaspora oder in der ebenfalls als westlich geltenden Metropole Istanbul ist eine ganz andere Entwicklung zu beobachten. Es ist außerdem bemerkenswert, dass die Menschen, die dieses Transportmittel nutzen beinahe so wirken, als befänden sie sich in ihrem Wohnzimmer. Viele liegen auf den Bänken herum und trinken Getränke, die sie an Bord gekauft haben. Man sähe nur allzu gerne im Kontrast dazu Passagiere der Bahnen und Busse der BSAG.

Radek Krolczyk

Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘

Noch bis zum 15. Oktober in der Städtischen Galerie