Die letzten Orakel

VON KLAUS JANSEN

Zum Schluss des Wahlkampfs führt es die Spitzenkandidaten noch einmal dahin, wo alles begann: nach Nordrhein-Westfalen. Gerhard Schröder spricht heute in Recklinghausen, Angela Merkel in Bonn und Joschka Fischer zog es gestern nach Düsseldorf – in die Stadt, in der vor knapp vier Monaten die letzte rot-grüne Landesregierung abgewählt und der Weg zu Neuwahlen geebnet wurde.

Erstmals in der Geschichte wird der Wahlkampf auch auf das Wahlwochenende ausgedehnt: Bis auf die Linkspartei wollen alle Parteien noch bis zum Schließen der Wahllokale Flyer, Kugelschreiber und gute Ratschläge verteilen. „Wir sind bis Sonntag 17.59 Uhr erreichbar“, kündigte die Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke an. Die Missachtung der Sonntagsruhe hat einen simplen Grund: Letzte Umfragen sehen einen Patt zwischen Schwarz-Gelb auf der einen und SPD, Grünen und Linkspartei auf der anderen Seite.

Offenbar ins Stocken geraten ist zwei Tage vor der Wahl die Aufholjagd der SPD. Eine gestern veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von RTL sieht die Sozialdemokraten bei nur noch 32 bis 34 Prozent – noch vor wenigen Tagen hatte das gleiche Institut die Partei auf 35 Prozent taxiert. Die Union kann laut Forsa derzeit mit 41 bis 43 Prozent rechnen, FDP und Linkspartei kämen derzeit auf jeweils 7 bis 8 Prozent, die Grünen auf 6 bis 7 Prozent.

Während es nach der Forsa-Rechnung nicht für ein schwarz-gelbes Bündnis reichen würde, sieht das Institut Allensbach (für die FAZ) einen Vorsprung für diese Koalition: Union und FDP erreichen hier zusammen 49,5 Prozent, Rot-Grün plus Linkspartei nur 48 Prozent.

Allerdings: Nicht nur wegen der statistischen Fehlertoleranz sind solche Umfragen mit Vorsicht zu genießen: „Statt präziser Prognosen lässt sich derzeit nur ein Stimmungsbild berechnen“, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner. Außerdem seien noch rund ein Viertel der Wahlberechtigten unentschieden und die Wählerbewegung hoch. Auch Güllners Kollege Edgar Piel von Allensbach kommt zu dem Schluss: „Ein Swing in letzter Minute ist möglich.“

Darauf baut vor allem die SPD – die die neuen Umfragen optimistisch auslegt. „Ich sehe kein Absinken, sondern Tagesschwankungen“, sagte Wahlkampfchef Kajo Wasserhövel. Wichtig sei, dass Gerhard Schröder seinen Vorsprung in der persönlichen Beliebtheit vor Angela Merkel weiter ausgebaut habe. „In den kommenden Tagen müssen wir noch einmal klar machen, wie weitreichend die Entscheidung am Sonntag wird“, sagte Wasserhövel der taz. „Wer keine schwarze Republik will, muss SPD wählen.“

Inhaltlich Neues haben die Parteien in den letzten Wahlkampftagen nicht bieten. Die CDU wetterte gestern erneut gegen die angebliche „Gift-Liste“ von Finanzminister Hans Eichel (SPD); der wiederum kündigte rechtliche Schritte gegen die Bild-Zeitung an, die ihn als Lügner tituliert hatte. Die Linkspartei präsentierte gestern einen neuen Wahlaufruf von Intellektuellen wie dem Theologen Eugen Drewermann und dem Ökonomen Elmar Altvater.

Und Dauerbrenner Paul Kirchhof? Der konnte sich gestern über eine Umfrage von TNS Infratest im Auftrag des Spiegels ärgern, nach der ihn lediglich 11 Prozent der Deutschen als Finanzminister wünschen. Spitzenreiter mit 47 Prozent: sein Tandempartner Friedrich Merz. Befragt wurden dafür 1.000 Wahlberechtigte. Am Sonntag sind es dann 61,9 Millionen.