Justiz in Deutschland: Lieber gründlich oder schnell?

Der Richter Thomas Schulte-Kellinghaus will sich nicht ermahnen lassen, er arbeite zu langsam. Den Streit muss nun der Bundesgerichtshof klären.

Ein Mann, Thomas Schulte-Kellinghaus

Thomas Schulte-Kellinghaus (Archivbild aus dem Jahr 2014) Foto: dpa

FREIBURG taz | Darf ein Richter gerügt werden, wenn er zu gründlich arbeitet – und deshalb viel weniger Fälle erledigt als andere Richter? Diese Grundsatzfrage muss jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe klären.

Kläger ist Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe. Er erledigt deutlich weniger Fälle als seine Kollegen. Nicht, weil er seine Zeit auf dem Tennisplatz zubringt, sondern weil er sich für seine Fälle besonders viel Zeit nimmt. Seine damalige Gerichtspräsidentin Christine Hügel hat ihn deshalb 2012 förmlich ermahnt. Er erledige in manchen Jahren weniger Fälle als ein Halbtagsrichter. Das sei „jenseits aller großzügig zu bemessenden Toleranzbereiche“.

Schulte-Kellinghaus wollte sich das nicht gefallen lassen und klagte vor dem Richterdienstgericht in Karlsruhe gegen den „einmaligen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit“. Man könne von ihm nicht verlangen, weniger sorgfältig zu arbeiten. Er müsse sich auch nicht dafür rechtfertigen, wie er seine Entscheidungen vorbereitet und anfertigt.

Doch das Richterdienstgericht entschied gegen Schulte-Kellinghaus: Er durfte von der Gerichtspräsidentin ermahnt werden. Die Orientierung an der Erledigungszahl eines „durchschnittlichen“ Richters sei nicht unzulässig. Auch eine Sonderprüfung von Schulte-Kellinghaus’ Akten durfte angeordnet werden. Die Berufung beim Dienstgerichtshof in Stuttgart hatte ebenfalls keinen Erfolg. Nun muss der BGH als letzte Fach-Instanz entscheiden.

Die Staatsanwaltschaft lehnte Ermittlungen ab, es bestehe nicht einmal ein Anfangsverdacht.

Das Verfahren gilt als bundesweiter Präzedenzfall. Und viele Richter haben hier „zwei Seelen in ihrer Brust“, wie Jens Gnisa, der Chef des deutschen Richterbunds, sagte. Schulte-Kellinghaus habe zwar „gute Argumente. Man muss aber auch die Interessen der Kollegen sehen und das Interesse der Bevölkerung an einer leistungsfähigen Justiz.“

Schulte-Kellinghaus nimmt seinen Fall sehr ernst. 2016, also vier Jahre nach dem Vorgang, erstattete er, gemeinsam mit anderen Juristen, Strafanzeige gegen die inzwischen pensionierte OLG-Präsidentin Hügel. Die damalige Rüge sei eine strafbare „Nötigung“ gewesen „in besonders schwerem Fall“. Doch die Staatsanwaltschaft lehnte Ermittlungen ab, es bestehe nicht einmal ein Anfangsverdacht.

Der BGH-Prozess sollte schon im Oktober 2016 stattfinden. Doch Schulte-Kellinghaus lehnte den zuständigen BGH-Senat wegen Befangenheit ab. Die Presseankündigung des BGH stelle den Streit nicht differenziert genug dar. Zudem hätten die Richter seine Fragen zu ihrem „Selbstverständnis“ nicht beantwortet. Im März 2017 lehnte der BGH den Befangenheitsantrag ab. An diesem Donnerstag soll das Verfahren nun endlich stattfinden. Falls Schulte-Kellinghaus verliert, will er das Bundesverfassungsgericht anrufen.

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