„Das Schulsystem steht kurz vor dem Kollaps“

REFORM Bildungsexperte Prince Nkuutu erklärt, warum Schulen in Uganda so schlecht sind – und warum Geld aus dem Ausland allein nicht hilft

Prince Nkuutu

43, ist Direktor der NGO Livelihoods Development Initiatives Uganda. Der Bildungsexperte evaluierte 2016 Ugandas Bildungssystem.

taz: Uganda ist in Afrika führend in der Einführung der Allgemeinen Bildungsprogramme UPE und USE zur Umsetzung der Millenniumsziele. Herr Nkuutu, was ist das Ergebnis nach über zehn Jahren?

Prince Nkuutu:Wir Ugander nennen das USE heute „Useless Secondary Education“ [Englisch für nutzlose Sekundarbildung],weil die Schüler quasi gehandicapt die Schulen verlassen. Diese Projekte wurden damals initiiert von internationalen Gebern wie Weltbank und Unicef. Sie haben enorm viel Geld zur Verfügung gestellt. Damit sollten Schulen gebaut und mehr Lehrer ausgebildet werden, um die hohe Zahl der Schüler zu bewältigen. Doch nichts ist passiert. Die Regierung hat es den NGOs und Privatunternehmen überlassen, diese Kinder auszubilden.

Was ist Ihre Erklärung dafür?

Die Politiker haben die Projekte benutzt, um Wählerstimmen zu sammeln. Überall haben die Ugander applaudiert. Als jedoch dann die Zahl der Schüler enorm zunahm, nahm auch die Zahl der Abgänger ohne Schulabschluss zu. In manchen Klassenzimmern auf dem Land sitzen pro Lehrer mehr als hundert Kinder in der Klasse, manchmal sogar 300. Niemand im Ministerium hat so weit geplant. Seit der Unabhängigkeit unseres Landes in den 1960er Jahren gab es keine nennenswerte Bildungsreform mehr. Heute steht das Schulsystem kurz vor dem Kollaps.

Sie waren vergangenes Jahr Teil des Evaluationsteams der Regierung über ugandische Schulen. Was war das Ergebnis?

Es war desaströs! Wir haben eine Auswahl an Lehrern aus staatlichen Schulen die Sekundar­schul­exa­men machen lassen und manche sind glatt durchgefallen mit weniger als der Hälfte der bestandenen Fragen. Wenn also die Lehrer durchfallen, wie sollen sie die Schüler unterrichten?

Was ist der Grund für diesen vernichtenden Befund?

Es gibt einen enormen Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Schulen. Die Bezahlung der Lehrer in öffentlichen Schulen ist mit 300.000 Schilling pro Monat [Anm. d. Red: knapp 100 Euro] so schlecht, dass sie mindestens zwei oder drei Jobs brauchen, um ihre Familien zu ernähren, und ganz heimlich bringen sie morgens ihre eigenen Kinder zur Privatschule, weil sie selbst wissen, dass sie auf der staatlichen Schule nichts lernen.

Ob ein Kind auf eine private oder staatliche Schule geht macht so einen gewaltigen Unterschied?

Die Armen sitzen buchstäblich in einer Falle. Wer auf eine staatliche Schule geht, lernt nichts und wird somit keinen Job ­bekommen und arm bleiben. Wer Geld hat, der schickt seine Kinder auf eine Privatschule. Die kostet viel, aber die Qualität ist gut. Eine Mittelklassefamilie investiert heute mehr in die Bildung ihrer drei oder vier Kinder als in ein Eigenheim oder ein Auto. Bildung ist ein gewaltiges Geschäft geworden, korrupt ist es noch dazu. Wer als Unternehmer in Uganda eine Schule aufmacht und den Eltern Tausende von Euro umgerechnet pro Schuljahr abverlangt, kann sehr schnell sehr reich werden.

Lässt sich das Dilemma lösen?

Die internationalen Geber müssen prüfen, wo ihre Gelder hinfließen und welche Ergebnisse sie erzielen, auch langfristig. Sonst müssen sie die Gelder streichen. Der Sektor muss reformiert werden und die Programme müssen anständig geplant und umgesetzt werden, ohne dass das Geld in korrupten Taschen verschwindet. Sonst enden solche Programme, die von den weltweiten Gebern mit guten Absichten aufgesetzt wurden, am Ende in schlechten Ergebnissen.

Interview Simone Schlindwein