Private Energie gegen staatliche Schulden

Finanzen Trotz Kritik will Brasiliens Regierung den Energieriesen Eletrobras verkaufen

„Ein Verbrechen gegen die Energie­sicherheit“

Ex-Präsidentin Dilma Rousseff

RIO DE JANEIRO taz | Um das brasilianische Haushaltsdefizit zu verringern, hat Energieminister Fernando Coelho Filho erstmals den Verkauf von Tafelsilber angekündigt: Eletrobras, Lateinamerikas größter Energieversorger, soll privaten Investoren überlassen werden. Kritiker sprechen von einem Verlust an nationaler Souveränität.

Mindestens 20 Milliarden Reais (5,4 Milliarden Euro) soll die Privatisierung in die leeren Staatskassen spülen. Die Regierung nennt den Vorgang „Demokratisierung der Aktien“: Geplant ist eine Kapitalerhöhung, wodurch der Staatsanteil an den Aktien sinkt und die Privatwirtschaft die Kontrolle des Unternehmen übernimmt. Im Gegensatz zu einem direkten Anteilsverkauf, deren Erlös laut Gesetz nur für die Tilgung von Staatsschulden einsetzen darf, kann die Regierung diese Art von Einnahmen auch zum Stopfen von Haushaltslöchern verwenden.

Unter Investoren löst der Plan Euphorie aus. Der Kurs der Eletrobras-Aktie legte nach der Ankündigung in der vergangenen Woche um fast 50 Prozent zu. Diese Form von Privatisierung biete den Anlegern mehr Flexibilität, ein Modell, das schon in Spanien und Portugal erfolgreich war, erklärte Minister Coelho Filho. Es geht um 40 Wasserkraftwerke und knapp 200 Energieanlagen, die mit Gas, Kohle oder Windkraft betrieben werden. Zudem besitzt Eletrobras rund die Hälfte aller Stromleitungen in Brasilien. Nur das Atomkraftwerk in Angra dos Reis und der gemeinsam mit Paraguay betrieben Itaipu-Staudamm sind bislang von der Privatisierung ausgenommen.

Kritiker des Verkaufs befürchten deftige Preissteigerungen für die Stromkunden. „Der Staat verliert die Planungshoheit in einem strategisch wichtigen Bereich und gibt die öffentliche Kontrolle über die Energieversorgung auf“, sagt der Ökonom und frühere Bankenchef Jorge Mattoso voraus. Ex-Präsidentin Dilma Rousseff, die vor gut einem Jahr wegen angeblicher Tricksereien im Haushalt aus dem Amt getrieben wurde, sprach von einem „Verbrechen gegen die Energiesicherheit und die nationale Souveränität“.

Die Regierung von Präsident Michel Temer, die nach knapp 14 Jahren nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik unter der Arbeiterpartei PT wieder auf neoliberale Konzepte setzt, plant schon den weiteren Ausverkauf. Mindestens 58 Privatisierungen stehen auf der Liste, darunter Häfen, Landstraßen, Industriekomplexe und eventuell auch der Olympiapark in Rio de Janeiro. Mehrere Flughäfen wurden bereits veräußert, einige Bundesstaaten stellten städtische Abwasserversorger zum Verkauf und auch Teile des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras stehen zur Disposition.

Hintergrund der Verkaufsinitiative ist die dramatische Haushaltslage. Obwohl die jetzigen Machthaber den Vorgängerregierungen gern Misswirtschaft vorwerfen, ist das Defizit seit ihrer Regierungsübernahme rapide angestiegen. Erst kürzlich räumte Finanzminister Henrique Meirelles ein, dass der Haushaltsplan für 2017 nicht eingehalten werden könne, und erhöhte das geplante Defizit um umgerechnet gut 5 auf 42,5 Milliarden Euro. Den Defizitplan für 2018 erhöhte Meirelles gar um acht Milliarden Euro.

Das Problem sind allerdings nicht nur die angesichts der Krise sinkenden Staatseinnahmen. Daneben wurden Schulden von Unternehmern und Großgrundbesitzern in Milliardenhöhe gestreckt oder gestundet. Andreas Behn