„Typen mit Schwert“

Altern Der fünfte und letzte Teil der taz-Serie über Denk- und Mahnmale handelt von Vergessenem

F oto: Hannah Wolf

taz: Herr Hartog, Denkmäler, die älter als hundert Jahre alt sind, erschließen sich oft nur schwer. Warum steht beispielsweise der reitende Bismarck vor dem Dom rum?

Arie Hartog: Das liegt wohl daran, dass er sich ursprünglich auf ein Denkmal bezog, das es nicht mehr gibt. Als die Bronzefigur des Münchner Bildhauers Adolf von Hildebrand 1910 aufgestellt wurde, stand um die Ecke noch das Kaiser-Wilhelm-I.-Denkmal. Dieses Standbild, das 1893 im Beisein von Wilhelm II. eingeweiht wurde, war eine Zeit lang das zentrale Denkmal in Bremen, neben den Rathaus, vor Unserer-Liebfrauen-Kirche.

Ein grausiges, neubarockes Ding, das Macht symbolisierte. Wer durfte in einem Denkmal eigentlich auf dem Pferd sitzen?

Ja, wer?

Der Kaiser, ein König, auf keinen Fall aber ein Reichskanzler. Hildebrands Kanzler allerdings sitzt nicht nur auf einem Pferd, er saß auch noch höher als der Kaiser. Das ist also ein Zeichen einer nationalen und bürgerlichen Emanzipation. Die Dynamik ist wichtig: Jedes Denkmal macht eine neue Aussage, nur darum macht es Sinn, und als solches verhält es sich quasi als Anti-Denkmal zu den vorhandenen. Es gibt eine neue Botschaft und die ist denkmalswürdig.

Wie sah die Statue aus?

Wilhelm I.? Vollkommen proportionslos, ein unförmiger, Körper auf einem unförmigen Pferd. In der plumpen Gesamtform ähnlich dem Elefanten hinterm Bahnhof. Eine formal nicht durchdachte, visuelle Chiffre.

Bis wann stand die Statue?

Im zweiten Weltkrieg wurde die Bronze für die sogenannte Metallspende eingeschmolzen. Das war bei vielen Kaiser-Denkmälern so. Man brauchte Metall für den Krieg und es zeigt, dass die Nazis nur wenig für kaiserliche Symbole übrig hatten. Bismarck als Gründer der Nation durfte dagegen stehen bleiben – ob dabei ästhetische Urteile eine Rolle spielen, darf bezweifelt werden. Aber was war die Folge: Anfang des 20. Jahrhunderts dominierten zwei Richtungen in der Denkmalbildhauerei – kaiserliches Neobarock und Neoklassik. Wenn man heute durch Bremen läuft, sieht man aus dieser Zeit fast ausschließlich neoklassische Standbilder. So wie etwa Hildebrands Bismarck. Dieser moderne richtete sich gegen den kaiserlichen Stil. Weil aber fast nur dieser moderne Stil im Stadtbild überlebte, denken wir, das sei die kaiserliche Bildhauerei. Wir sind kaum mehr in der Lage zu differenzieren. Ein altes Denkmal ist ein altes Denkmal.

Steht denn von diesen kaiserlichen, neobarocken Denkmälern heute kein einziges mehr in Bremen?

Nichts. An Neubarock gibt es noch den Centaurenbrunnen von 1901, der heute in den Neustädter Wallanlagen steht und ursprünglich dort stand, wo heute die Dobben-Kreuzung ist.

Nun haben wir über die Denkmäler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gesprochen. Aber es gibt ja noch ein paar ältere Denkmäler in Bremen.

Ja, aber nur wenige. Das bekannteste ist natürlich der Roland von 1404.

Arie Hartog

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geb. 1963, hat über „Moderne deutsche figürliche Bildhauerei“ promoviert und ist seit 2009 Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses.

Erschließt der sich leichter als der Bismarck?

Überhaupt nicht. Er wurde zwar aus einem bestimmten Grund und mit einer bestimmten Legitimation aufgestellt, aber genau nachvollziehen können wir das heute nicht. Außerdem wird der Roland im Laufe der Jahrhunderte seine Bedeutung immer wieder verändert haben. Was erzählt man denn über den Roland, wenn man auswärtige Gäste durch die Stadt führt?

Er sei ein Monument für das Bürgertum und den freien Handel.

... und so einfach ist das nicht. Wenn man als Tourist davorsteht und sieht diesen Typen mit dem Schwert – wo ist der Hinweis auf Bürgertum und freien Handel? Ist es vielleicht ein mit dem Schwert erzwungener freier Handel? Ich bin ja kein Experte für mittelalterliche Bildhauerei – ich denke aber, dass es ein Denkmal ist, mit dem die Stadt Bremen seine Macht zeigt, über Leben und Tod zu entscheiden. Garantiert aber gibt es viele andere Geschichten, die die Bremer ihren Gästen zum Roland erzählen. Auf diese Weise funktionieren die meisten älteren Monumente, und so kann man durch die Stadt laufen, von Denkmal zu Denkmal, und es entblättern sich ganz unterschiedliche Bedeutungsebenen und Geschichten.

Interview Radek Krolczyk