Tut sich da noch was?

Zweidrittelstimmung Schön, dass der Wahlkampf so gesittet verläuft? Falsch. Alles viel zu träge

Natürlich registrieren alle Medien, wenn die Kanzlerin ausgebuht wird. Was sollen sie auch sonst tun? Den ganzen Empörmist ignorieren? Nach Wolgast, Brandenburg und Bitterfeld hatten die Freund*innen der AfD mobilisiert, sie kamen und taten ihr Werk, Angela Merkel ihr starkes Missfallen zu bekunden.

Okay, aber das ist nun wirklich nicht neu, das gab es vor 37 Jahren auch schon. Zwar war das Objekt des Protests Franz Josef Strauß, der hatte sich gegen Helmut Kohl in der Union als Kanzlerkandidat durchgesetzt und schaffte es doch nicht, Helmut Schmidt zu besiegen. Wochenlang wurde gegen den Bayern mobilisiert. Auch Helmut Kohl, längst Kanzler, hatte Schmähungen zu ertragen; gegen Menschen, die ihn mit Eiern bewarfen, schritt er persönlich ein.

Was sonst vom Wahlkampf zu berichten ist, bleibt Stoff für politisch Hochinteressierte, für Umfragekurvennerds – den Unpolitischen jedoch geht die Zusammensetzung des nächsten Bundestages echt an allem Interesse vorbei. Dieser kollektive Gemütszustand fände eine Zweidrittelzustimmung. Was fehlt, aus der Position des Politnerds gesprochen, ist Entertainment. Wie zu Helmut Schmidts Zeiten. Wenigstens entgrenzend halbalkoholische Zustände oder Pöbeleien. Giftigkeiten, Gemeinheiten, Herablassungen. Im Studio, auf der Straße, in den Wohnzimmern. Alle sind wahnsinnig moderat.

Es ist, als sei selbst ein Christian Lindner – von Özdemir, Schulz, Wagenknecht, Bartsch, Göring-Eckardt zu schweigen – durch die gleiche Emotionsgedämpftheitscoachingfortbildungsschule gegangen, die zu besuchen die Kanzlerin verdächtigt wird. Aber soweit man weiß, war sie schon immer so: ruhig, cool, moderat, niemals frech. Alles andere wäre undeutsch, deutsch nämlich ist Sachlichkeit, und diese angebliche Tugend wird gerade für das Megastück „Bundestagswahl“ im Wahlkampf bis zum Zustand der pathologischen Langeweile generalgeprobt.

Man muss sich mit der definitiv inhaltlich nicht stubenreinen AfD-Bagage auseinandersetzen, weil die, so ist das Gesetz der Medialisierungen, wenigstens hin und wieder ein Skandälchen fabrizieren. Aber auch neulich bei Alice Weidels Talkshow-Abtritt glaubte man zu erkennen: alles Konzept, nix ist da spontan.

Was also die Woche bringt? Noch mehr Schulz und sein Leiden an den Vorhersagen, mehr grüne Ratlosigkeit und FDP-Chicness namens Lindner. Und heute Abend, 20.15 Uhr, Angela Merkel in der ARD-„Wahlarena“. Eine Soloshow. Was wäre für diesen Wahlkampf sprechender?