BefindlichkeitenWie wahrscheinlich ist es, dass nach der Landtagswahl in zwei Wochen auch in Niedersachsen die Grünen mit CDU und FDP zusammengehen? Hat doch der Wechsel ihrer ehemaligen Abgeordneten Elke Twesten zur CDU die rot-grüne Koalition gekillt und die Neuwahlen erst nötig gemacht▶Schwerpunkt SEITE 43–45
: Jamaika bald auch in Hannover?

Karibische Stimmung? Hannover, hier der Maschsee, wird oft unterschätzt Foto: Holger Hollemann/dpa, taz

von Gernot Knödler

Ein angebliches „unmoralisches Angebot“ hat das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen der CDU und den Grünen im niedersächsischen Landtag vergiftet und könnte nach den kommenden Landtagswahlen auch mögliche Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition belasten. Das Angebot erhalten haben soll die ehemalige grüne Landtagsabgeordnete Elke Twesten, die mitten im laufenden Bundestags-Wahlkampf zur CDU überlief. Damit war die Ein-Stimmen-Mehrheit der rot-grünen Koalition in Hannover futsch, Neuwahlen waren nötig.

Einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage von Infratest Dimap zufolge wären nach der Landtagswahl am 15. Oktober drei Koalitionen möglich: eine große Koalition aus CDU und SPD, ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP und eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen. Grund dafür ist, dass die SPD ihren Rückstand auf die CDU aufgeholt hat und die CDU mit 35 Prozent nur noch einen Prozentpunkt vor der SPD liegt. Die Befragung fand nach der Bundestagswahl statt.

Ministerpräsident Stefan Weil kann sich den Ergebnissen zufolge sogar wieder Hoffnungen machen, seine Wunschkoalition mit den Grünen fortzusetzen. In den Grünen findet er dabei einen Partner, der willens ist, „unsere gemeinsamen Projekte mit der SPD fortzusetzen“, wie es etwa die Fraktionschefin Anja Piel gegenüber der taz ausdrückte.

Mit der CDU täte sich Weil schon wesentlich schwerer. Beim Parteitag der niedersächsischen SPD gab er der CDU die moralische Mitverantwortung für den Wechsel Twestens und damit das Platzen seiner Regierung. Der Übertritt sei Verrat am Wähler gewesen. Dazu habe die niedersächsische CDU einen aktiven Beitrag geleistet, dies werde man im Landtagswahlkampf zum Thema machen.

Weil erinnerte an die Wahl von Ernst Albrecht (CDU) zum Ministerpräsidenten, die 1976 durch Abweichler zustande kam – vermutlich auch mit Stimmen der SPD. „Es handelt sich offenbar um einen Teil des christdemokratischen Erbguts in Niedersachsen“, sagte Weil. „Auch für die heutige CDU-Führung gilt: Sie haben viele Tricks drauf, aber wenig Anstand.“

Eine Koalition mit der CDU habe er „noch nie sonderlich realistisch“ gefunden, hatte er zuvor der taz gesagt. Durch die Art, wie seine Regierung platzte, sei sie nicht realistischer geworden.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Helge Limburg, und der frühere Landtagspräsident Rolf Wernstedt hatten von Gesprächen berichtet, in denen die Überläuferin Twesten wörtlich gesagt haben soll, sie habe ein „unmoralisches Angebot“ von der CDU erhalten. Demgegenüber beteuerte Twesten: „Ich bin keine Verräterin.“ Sie habe sich nicht kaufen lassen und sei auch nicht Teil einer Intrige.

So sehr Twestens Übertritt die Grünen schmerzt – ihr Zorn scheint sich mehr an die CDU zu richten als an die Ex-Kollegin. „Dass die CDU für so eine miese Form von Machtspielchen eine Landesregierung über die Klinge springen lässt, hat die Ausgangslage nicht gerade vereinfacht“, sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Heiner Scholing.

So oder so setzten die Grünen auf eine Fortsetzung der Koalition mit der SPD, sagt Scholing. Sollten die Mehrheitsverhältnisse nach der Landtagswahl das nicht hergeben, seien die Grünen aber dennoch in der Lage, „auf die Inhalte zu gucken.“ Und das sei schwer genug.

„Klar ist, dass ein Wechsel, der so passiert, eine Fraktion empört“, sagt Grünen-Fraktionschefin Piel. Die Causa Twesten wolle sie nicht mehr kommentieren. Ohnehin spiele die Ex-Fraktionskollegin nach dem 15. Oktober in der Landespolitik keine Rolle mehr.

Im Verhältnis zur CDU spielten Befindlichkeiten keine große Rolle, sagt Piel, weil die Abgeordneten beider Fraktionen ohnehin nicht so nahe stünden. „Wir verzehren uns nicht in kleinen Gruppen im Ärger über die CDU“, sagt Piel ironisch. Eher bedeutend seien die inhaltlichen Gräben zwischen den Parteien etwa bei den Themen Klimaschutz und Mobilität.

Ins gleiche Horn stößt laut und vernehmlich der grüne Agrarminister Christian Meyer. „Mit einer solchen nach rechts gewandten sozial und ökologisch rückständigen CDU wie hier in Niedersachsen ist für uns keine Koalition vorstellbar“, sagt er im Interview mit der taz (Seite 44).

Die CDU wiederum könnte sich zwar eine große Koalition mit der SPD vorstellen, nur schwerlich jedoch ein Zusammengehen mit den Grünen. CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann bezeichnete am Tag nach der Bundestagswahl ein Jamaika-Bündnis als Option. Am nächsten Tag ruderte er aber schon zurück: „Wir erleben im Moment einen scharfen Linksruck bei den Grünen“, sagte er der Syker Kreiszeitung. „Von daher halte ich es für nahezu undenkbar, dass man da wirklich zu gemeinsamen Schnittmengen kommt.“ Aber natürlich wolle die CDU die Tür nicht zuschlagen, versicherte CDU-Generalsekretär Ulf Thiele.

Bleibt die FDP, die sich nach Aussagen ihres Landeschefs, dem ehemaligen Umweltminster Stefan Birkner, weder eine Ampel- noch eine Jamaika-Koalition vorstellen kann. Der Bild-Zeitung sagte er: „Es gibt keine inhaltlichen Übereinstimmungen mit den Grünen für ein stabiles Bündnis.“ Die FDP trete für einen Politikwechsel an.