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: Färöer schlagen Deutschland

Ein bisschen skeptisch darf man schon sein, wenn zu Beginn der Fußballsaison eine weitere Publikation auf den Markt kommt, in dem prominente Schriftsteller und Medienmenschen – Saša Stanišić, Jürgen Kaube, Jochen Schmidt, Christine Westermann beispielsweise – ihre ganz persönlichen Fußballerinnerungen preisgeben. Denn, so denkt man sich, hat nicht a) langsam jeder Intellektuelle sein Fußballgeschichtlein erzählt, und läuft es nicht b) auf immer ähnlich verlaufende nostalgische Erzählungen hinaus?

Nope. Der von Rowohlt-Sachbuchlektorin Julia Suchorski herausgegebene Sammelband „Das Spiel meines Lebens“ belehrt einen eines Besseren. Darin schreiben 24 Autorinnen und Autoren über für sie unvergessliche Partien, und es ist eine faszinierende Bandbreite an Storys zusammengekommen. Die ersten Stadionbesuche sind genauso dabei wie Bolzplatzkicks, Fanreisen finden sich gleichermaßen wie die legendärsten Matches des jeweiligen Lieblingsclubs.

Da schreibt etwa Zeit-Online-Sportredakteur Christian Spiller über Cottbus in den Neunzigern, über Pubertät und Pickel und Ede Geyer und Superillu-Trikotwerbung und Nazis. Und natürlich über den Einzug von Energie Cottbus ins DFB-Pokalfinale im April 1997 gegen den Karlsruher SC, dem er beiwohnt. Ob es ein gutes oder ein schlechtes Spiel war? Weiß er nicht mehr genau. Aber der Osten schlug den Westen an diesem Abend mit 3:0.

Roadtrip nach Mailand

Da schreibt Journalist Kai Feldhaus über Schöppi, Kalle, Bleile und Hansi, allesamt Schalke-Anhänger, wie sie sich 1997 auf einen Roadtrip nach Mailand begeben beziehungsweise wie sie sich 20 Jahre danach in der Gaststätte Schäfer an diesen erinnern: Wie man die Autobahn Richtung Süden genommen hatte und Schöppi die von seiner Oma genähte Kutte getragen hatte, wie man auf dem Campingplatz in Norditalien zusammengesessen hatte und wie kurz darauf, im Stadion, Marc Wilmots zum Elfmeterpunkt geschritten und angelaufen war – und wie der Rest dann Geschichte war.

Und da schreibt Ayla Mayer über die Rituale, die Gesänge, die Sprüche ihrer Fan-Clique in der Nordkurve des Millerntors in St. Pauli, über (damals noch) marode Stehränge und über Selbstironie. Und über ein bitteres Ausgleichstor von Mladen Petric im Derby gegen den HSV 2010.

Hübsche Koinzidenzen hält das Buch auch bereit, zum Beispiel berichten Kunsthistoriker Horst Bredekamp sowie taz-Redakteur und „Wechselfan“ Dirk Knipphals beide vom Fußballstandort Kiel, in den sie hineingeboren wurden – Ersterer, Jahrgang 1947, erlebt noch erfolgreiche Prä-Bundesliga-Zeiten Holstein Kiels und wohnt dann dem Niedergang bei. Letzterer, Jahrgang 1963, wächst mangels Erfolg des Heimatklubs quasi als Fußballnomade auf.

Der einsamste Fußballplatz

Ein Highlight ist ein Liebesgeplänkel mit den Mitteln des Fußballs, das die Berliner Schriftstellerin Kirsten Fuchs in ihrer Kurzgeschichte „Wal und Fußei“ beschreibt. Die Story spielt auf den Färöer-Inseln (welch Fußball-Topos!); sie erzählt von der Annäherung zwischen einer deutschen Besucherin und einem Einheimischen: Während die Ich-Erzählerin eigentlich auf der Insel ist, um eine Walfang-Doku zu drehen, erzählt der Färinger Jakub ihr als Erstes, wie man die Wale am besten zusammentreibt und tötet. Die beiden mögen sich trotzdem irgendwie – und landen schließlich zusammen auf dem „einsamsten Fußballplatz der ganzen Welt“, um gegeneinander zu kicken. Färöer schlägt Deutschland mit 12:7. Und, klar, es endet romantisch.

Allein diese kleine, große Eloge auf das kindliche Spiel, die Freiheit, das Reisen und natürlich den Ballsport ist den Erwerb des Büchleins sicherlich wert. Und überhaupt fällt einem nach der Lektüre plötzlich auf, dass „Das Spiel meines Lebens“ vielleicht gar kein Buch über Fußball ist. Eher eines über Heimat, über Illusionen, über Sehnsucht und Freundschaft. Auch darüber, dass Fußball oder das Fansein manchmal ein bisschen lächerlich ist. Und doch will man nach dem Lesen dieses – auch schick gestalteten – Bandes am liebsten sofort zum Bolzplatz, ins Stadion, zum Gucken in die Kneipe um die Ecke laufen. Könnte ja durchaus sein, dass man dort gerade das Spiel seines Lebens verpasst.

Jens Uthoff

Suchorski, Julia (Hg.): „Das Spiel meines Lebens“. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2017, 317 Seiten, 12 Euro