Der Geschockte

Jacob Höhne inszeniert „Die Räuber“ nach Friedrich Schiller im Theater RambaZamba

Von Katrin Bettina Müller

So düster und so traurig wie „Die Räuber“, die Jacob Höhne am Theater RambaZamba in der Kulturbrauerei inszeniert hat, war bisher keine andere Premiere der noch jungen Spielzeit. Selten sah man die „Räuber“ so festgekeilt an jenem Ort außerhalb der Gesellschaft, an den sie am Anfang des Dramas durch pure Verleumdung geschoben werden. Franz Moor beschuldigt seinen Bruder Karl, den er aus Eifersucht und Egoismus aus dem Herzen des Vaters verbannen möchte, des Diebstahls und der Entehrung einer jungen Frau. Und suggeriert dem Bruder zugleich in einer Intrige, die mit Briefen ausgetragen wird, vom Vater verstoßen worden zu sein. Trotz und Wut über diese Ungerechtigkeit ist es zuerst, die Karl zum Anführer der Räuber werden lässt. Bis er in einem schrecklichen Moment erkennt, wie er, der antrat, Ungerechtigkeit zu rächen und geheuchelte Moral zu enthüllen, selbst zum Mörder geworden ist.

Am Theater RambaZamba ist die Bühne in zwei Ebenen unterteilt. Oben ragen Vorderbeine, Hals und Kopf eines gigantischen Pferdes, das sich aufbäumt, aus einem Wasserbecken und hier umschleicht Franz, glatt wie die Aale, mit denen er gelegentlich spielt, seinen Vater. Sechs Frauen sprechen den Vater im Chor, hart scheinen die Körper und die Sprache, und doch auch verwundbar. Der Frauenchor als Vaterfigur ist ein starkes Bild: in seiner Autorität und Stärke Franz deutlich überlegen. Kein Wunder, dass der zu fiesen Tricks greifen muss. Pascal Kunze spielt den Franz mit dem Grinsen der Genugtuung, endlich etwas gegen diese elterliche Macht ausrichten zu können.

Unter dieser Bühne ist eine zweite, in der das Hinterteil des Pferdes steht, samt seinen Genitalien. Diese Unterwelt sieht der Zuschauer oben nur in filmischen Projektionen, die nah an den Körper entlang rutschen. Hier leben die Räuber und von ihnen erzählt diese Inszenierung in einer Bildsprache, die sehr an Frank Castorf erinnert. Was man bruchstückhaft an tätowierten Rücken, behaarten Bäuchen, baumelnde Bärten und an begrapschten Brüsten sieht, lässt eine Orgie vermuten. Man ist ganz froh, nie das ganze Bild zu sehen.

Hier lebt Karl, im königlich gestreiften Pelzmantel. Er kämpft mit den Worten, mit Schillers Worten, er wühlt nach ihnen in seiner Mundhöhle, dicht holt die Kamera sein Gesicht heran. So spielt Jonas Sippel den Geschockten, der sich nicht mehr fassen kann. Erst, weil der Vater ihn verstoßen hat, und später, im erschütterndsten Moment der Inszenierung, als er erkennt, wie er die Möglichkeit des Glücks auch durch eigene Entscheidungen verloren hat. Der Moment, in dem er begreift, doch selbst auch verantwortlich für seine Verbrechen zu sein und nicht nur ein Hineingetriebener. Das ist stark im Ausdruck einerseits und andererseits auch ungewohnt im Umgang mit dem, was diesen Schauspieler und Menschen von anderen, ohne Down Syndrom unterscheidet.

RambaZamba ist ein Theater für behinderte und nicht behinderte Schauspieler, vor 27 Jahren von Gisela Höhne, die diesmal im Chor des Vaters mitspielt, gegründet. Viele der Schauspieler unter den Räubern sind schon lange an diesem Haus. Oft kommen Gäste von außerhalb, Angela Winkler oder Eva Matthes haben hier gespielt. Diesmal sind es unter anderem Almut Zilcher und Blanche Kommerell im Vaterchor.

Jacob Höhne, Sohn der Theatergründerin, hat die künstlerische Leitung mit dieser Spielzeit übernommen. Zu seinen Plänen gehört, sich ein größeres Publikum zu erschließen, sich mehr mit Stadttheatern zu vernetzen (siehe taz-Interview 28. 9.). Und wegzukommen von den Image, dass im Theater mit Behinderten das immer die netten, lustigen Kerle sind. In seinen „Räubern“ setzt er das sehr programmatisch um.

Wieder 2./3. + 5./6. 10., 19.30 Uhr; 2.–5. 11. im Theater RambaZamba, Kulturbrauerei