Kanzler-Nachlass im Auktionshaus: Helmut Schmidt kommt nach China

Montblanc-Füller, Sammler-Wein und Meerschaum-Pfeife: In Hamburg wurden Gegenstände des ehemaligen Kanzlers versteigert – zum Spottpreis.

Pfeife neben Bild von Helmut Schmidt

Rauchend halten wir ihn in Erinnerung. Für 600 Euro ging eine Pfeife Helmut Schmidts über den Tisch

HAMBURG taz | Gleich geht das Kanzlergut über den Tisch. 13 Uhr, „wir sind gut in der Zeit“ – und Zeit bedeutet hier wirklich: Geld –, die Auktionatorin ist längst im Sprechfluss, „4.000“, „4.400?“, seit zwei Stunden redet sie ohne sich bietende Pausen, „5.000“, „6.000“, Dalí, Chagall, „das ist mir zu wenig“, „das reicht doch nicht“. „Der Herr an der Säule, gehen Sie nochmal mit?“

Daniel Richter. Ludwig Richter. Gerhard Richter. Die Luft zirkuliert kaum, wo sie Beuys und Baselitz verkaufen, holländische Stillleben und deutsche Meister – im Auktionshaus „Stahl“, im Graumannsweg, Hamburg. Durch Erkerfenster sieht man SUVs vorfahren, an jenem letzten Wochenende im September, während hinter schweren roten Vorhängen Jahrmarktstimmung herrscht. Man drängt sich, schwitzt und raunt. Nummer 63: Fritz Mackensen, Öl auf Leinwand, in düsteren Farben getupfte Landschaft. Nummer 209: Baumwoll-Zellulose-Kleid von Warhol.

Ein Wolfgang Joop. Vier Udo Lindenbergs. Der neue Sachliche, Nummer 164: George Grosz­. Und dann „die Zweinullsieben, meine Damen und Herren“, Roy Lichtenstein. „Der hat hohen Wiedererkennungswert.“ Die Auktionatorin ruft am Mikro vorbei, dieser Dunst. „Macht mal einer das Fenster auf?“ – „Also Lichtenstein, den versteht wirklich jeder.“ Lichtenstein, wirklich. „Tolle Sache.“

Trotzdem ist der Großteil nicht für die Kunst in den kleinen hellgrün gestrichenen Raum gekommen, in dem alle paar Sekunden Abbildungen von Aquarellen, Zeichnungen, Fotografien an die Wand projiziert ­­– und darunter verhandelt werden. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten; verkauft an den Gentleman am Telefon, den Onlinebieter 475, an die Dame im Saal. Klappstuhlreihe fünf.

Schmidt-Fans in Flanellhemden

Man ist hier in erster Linie für Helmut Schmidt. Für eine andere Art der letzten Ehre, eine Mischung aus Fetisch und Nostalgie. Ein Flughafen, ein Pressehaus und eine Rosensorte sind mittlerweile nach dem 2015 verstorbenen Kanzler benannt worden, da scheint es nur konsequent, dass sich eine internationale Fangemeinde formiert – Punkt 13 Uhr, als die Werke aus seiner ehemaligen Sammlung versteigert werden. Und aus dem Nachlass seiner Lebensgefährtin nach Loki, Ruth Loah. „Auch Staatsgeschenke“, heißt es. Wer braucht da Vasen von Versace?

Beine in Anzughosen werden übereinandergeschlagen. Neu riechende Auktionskataloge werden aufgeschlagen und tonlos über Bügelfalten gelegt. Links, rechts, als gäbe es eine Wohlstandsgestik, in Körper gerutschten Luxus. Wer sich bewegt, weiß, wie: leise, die eigene Sachkenntnis unauffällig betonend. Brille aufsetzen, das Kinn aufstützen.

Dazwischen eine Mutter, deren Baby kurz zuvor über schweren Teppich gekrochen ist; in der ersten Reihe ein lesbisches Paar. Hier und da: Schmidt-Fans, in Flanellhemden, in Funktionsjacken, alle hoffen sie, ein Elder-Statesman-Souvenir zu ergattern. Schließlich, so verspricht die Auktionatorin: „gibt es auch preisgünstige Sachen“.

Schon werden Hände gereckt, mit Bieter-Karten geschwenkt. Jeder! Will! Die! „Medaille Bundeskanzler Helmut Schmidt“! Und die „Kleine Medaille Helmut Schmidt“, die auch. Die „Goldmedaille Helmut Schmidt“ sowieso, für sie haben sich schon vorab Interessenten gemeldet – „mehrere“ –, Startpreis 3.500 Euro. Kommt die später auf den Kaminsims? Egal, „bieten Sie eigentlich oder unterhalten Sie sich?“ Glückwunsch! 5.000 Euro. „So was kommt nicht wieder.“

Dafür kommt das: „Satz von 4 chinesischen Blattader-Malereien und 4 chinesischen Sondermarken“, Endpreis 180 Euro. Der „Montblanc Meisterstück Füllfederhalter“, 2.200 Euro. Die „Meerschaum-Pfeife mit Bernstein-Mundstück“, Gebrauchsspuren inklusive: 600 Euro.

Das Gefühl von Haben-Müssen

Es kommt der „indische Elefant mit Farbsteinbesatz“. Der „seltene Sammler-Wein ,Mouton Rothschild 1918’“, über den der Leiter des Auktionshauses, Herr Kerle, sagt, sie hätten ihn ins Licht gehalten, um ihn auf Trinkbarkeit zu prüfen. „Ist der trüb? Ist er’s nicht?“ Herr Kerle weiß es nicht; 1.900 Euro.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Und es kommt der Punkt, an dem die Vernunft dem Jagdtrieb erliegt. An dem sich, wie beim Verlieben, Gewinnerehrgeiz regt, das kindliche Gefühl von Haben-Müssen. Ist der Kapitalismus etwa auch beim Schmidt-Vermächtnis noch ein Schwein? Was sind schon 150 Euro für das „Album mit chinesischen Tang-Gedichten“ eines Staatsmannes? Abgesehen davon, was hat Schmidt nicht alles geleistet! Als Krisenmanager der Sturmflut, Verteidigungs- und Finanzminister, weltpolitisch; Ölkrisen, Deutscher Herbst. Nato-Doppelbeschluss? War da was?

Unbedingt „einzigartig“ sind seine Exponate, „ganz exzeptionell“, und die Reizworte der Auktionatorin verbreiten sich im Gehirn wie der Duft in einer Parfumabteilung. Sie sind das Wunderserum für die Synapsen. Sie machen weich, Stück für Stück vergessen, was morgen alles muss; es ist hier doch so schön und draußen so verregnet. Allein die Abkürzungen, die die Legende eines „Stahl“-Kataloges hergibt: „ber.“ für „berieben“, „beschl.“ für „beschliffen“. „GG“ steht für „Gelbgold“. Und „U’glasurblau“: für „Unterglasurblau“.

Das Präsentkästchen der Queen

Zuletzt steht die Leitung nicht still, als auf Schmidts „Schreibgeräte“ Schmidts Schatullen folgen, mitunter muss am Pult mit zwei Hörern gleichzeitig telefoniert werden. Die Schmidt-Schatullen bilden ein Genre für sich, und zwar ein klassisches, grün die „klassische Malachit-Schatulle“, blau die „klassische Schatulle in Lapislazuli“. Keine aber kann mit ihr konkurrieren: der „bedeutenden vergoldeten Silberschatulle“, die ihre Bedeutung dadurch erhält, dass sie „vermutlich ein Geschenk von Königin Elizabeth II.“ war.

„Yes or no?“

Bieternummer 88, der Mann im weißen Hemd in der hintersten Reihe, der schon einiges an Schatullen ersteigert hat, legt los. Er hört es ja selbst: „So ein Stück gibt es sonst nicht.“ 11.000 Euro bietet er – und 15.000 ein Herr am Telefon. „24.000 im Saal.“ – „26.000 am Telefon.“ 33.000. 36.000. Flüstern. Adrenalin. UND DANN APPLAUS! Nummer 88 erhält das potenzielle Präsentkästchen der Queen, und damit ist die Auktion auch gelaufen: 88 bindet sich den Schal um und geht. Reporter und Fotografen folgen ihm in den Vorraum – obwohl noch ein Kanzlerporträt und Emil Nolde, den Schmidt verehrt hat, auf der Tagesordnung stehen.

„Sir! Sir!“

Die 88, aus Peking, hält an. Sagt: „Ich bin nur für die Versteigerung angereist“ und dass er weder seinen Namen noch die volle Ersteigerungssumme öffentlich genannt wissen will. Was ihn mit Helmut Schmidt verbindet? „Gute Politik.“ Was er mit den vielen Schatullen macht? „Die werde ich behalten.“ Wann er zurück nach Peking fliegt? „Am Dienstag.“

„Und für welche Zeitung schreiben Sie?“, fragt da eine Frau mit einer Kaffeetasse in der Hand. Sie beobachtet, wie sich 88 nach längerem Hin und Her doch noch für die Hamburger Morgenpost fotografieren lässt. Sie hakt nochmal nach: „Für die FAZ oder die taz?“

Dann überlegt sie, wie die Überschrift dieses Artikels lauten könnte, und fängt an zu kichern. „Vielleicht ja: ,Helmut Schmidt kommt nach China?’“

Gekauft.

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