wortwechsel
: Die neue Identität?
Deutsch-international!

Wir müssen uns neu erfinden

Schwäbisches Lächeln Foto: Ann-Kathrin Liedtke

„Ich bin gespannt, wer unsere Ängste ernst nehmen wird in den nächsten vier Jahren“, taz vom 2./3. 10. 17

Bleiben Sie so mutig

Wie sehr Sie recht haben in Ihrer Kolumne Minority Report, kann ich nur bestätigen. Nicht so jung wie Sie, sondern 65 Jahre alt und seit 52 (!!) Jahren in Deutschland lebend, ist das, was Sie schrei­ben, meine tägliche Erfahrung, jahrein, jahraus, sowohl im beruflichen wie im privaten Bereich. Ich könnte das Ganze noch dahingehend ergänzen, dass das, was ich sage, nicht beachtenswert sei. Die Gründe dafür liegen weniger darin, dass ich mich nicht ausdrücken könnte oder kaum ernst zu nehmendes Wissen hätte, sondern in der allgemeinen Haltung. Vor 25 Jahren, nach Hoyerswerda, wurde meine Behauptung, in Deutschland gebe es quer durch die Gesellschaft einen immanenten Rassismus, empört zurückgewiesen. Die weitere Entwicklung hat mir recht gegeben, wie ja auch Ihre Erfahrungen zeigen. Ich kann Sie nur ermutigen, weiter souverän damit umzugehen, denn, und das ist keine Ermutigung, dieses allgemeine Verhalten wird sich nicht ändern. Also: Mut, um weiterhin darüber zu schreiben!

Maria Teresa Novo, Braunschweig

Bitte nicht hassen

Liebe Frau Aydemir, Ihre Reaktion nach der Bundestagswahl kann ich gut verstehen. Aber bitte hassen Sie Deutschland nicht. Dieses Land ist so uneinheitlich wie der Wahlausgang, nun die Reaktionen. Es gibt so viele ‚Spielarten‘ in diesem Land, denen werden Sie auch nicht gerecht, wenn Sie jetzt pauschal Deutschland hassen – wegen der AfD-Wähler und dem reaktionären Rechtsruck mancher Parteien.

Ich selbst war auch schockiert von diesem Wahlergebnis und lebe mit dem Gefühl, dass hier auch mein „Lebensmodell“ abgelehnt wird. Mein Verlobter ist syrischer Flüchtling, und seit zwei Jahren setze ich mich für ihn und weitere syrische Freunde ein. Auch ich fühle mich grundsätzlich angesprochen, wenn Sie nun Deutschland hassen.

Verlieren Sie in Ihrer durchaus verständlichen Wut nicht einen differenzierten Blick auf dieses Land. Das würde Leute wie mich enttäuschen.

Z.G., Leipzig

„Die Leute wissen, wen sie wählen“

taz vom 2./3. 10. 17

Wir sind typisch deutsch

Danke für das Interview. Ich war jahrzehntelang familiär bedingt mit der DDR verbunden. Meine Familienmitglieder „drüben“ im Vogtland waren bis auf zwei Ausnahmen Regimegegner, ein Funktionär und ein „Maulwurf“ – ein Verräter. Manch einer der Familie hatte Repres­sionen auszuhalten. Niemand von ihnen ist in den Westen umgesiedelt, aber die Aufgaben, die Bürger in einer Demokratie auch zu erfüllen haben – nicht nur die Annehmlichkeiten –, das mussten sie tatsächlich erst lernen. Am Tag der Öffnung der DDR waren wir alle in der Familie besoffen vor Freude – konnten es erst nicht glauben. Das Recht, uneingeschränkt reisen zu können, wurde ausgiebig wahrgenommen. Doch die Familie brach auseinander, Kontakte schliefen ein, wurden nicht mehr erneuert. Und bei den wenigen Familienfesten war es jetzt dort wie hier. Es fühlte sich so an, als hätte sich die „Ostfamilie“ endlich von der Westfamilie abnabeln können. Und das Bedauern ist auf keiner Seite groß gewesen. Wer wen wählt, weiß ich nicht, kann mir aber vorstellen, dass auch die AfD gewählt wurde.

Wir sind jetzt eben eine ganz typische deutsche Familie geworden, mit Gewinnern und Abgehängten.

Sibylla Nachbauer, Erlangen

Wir sind Ost und West

Liebe taz, danke für das großartige Interview mit Markus Nierth. Besonders seine Aussage auf die Frage, was denn jetzt nötig wäre, spricht mir aus der Seele. Dass mir der Herr vom Ticketschalter auf meine Frage, woher denn die Besucher des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen so kämen, antwortete: „überwiegend ausm Westen oder ausm Ausland“, deckt sich dann ja mit den Einschätzungen von Herrn Nierth. Aufarbeitung von Diktaturen muss Bestandteil des Geschichtsunterrichts an Schulen sein, mit verbindlichen Besuchen der ehemaligen DDR-Institutionen. Spreche ich heute mit Pädagogen in Thüringen über die gängigen Erziehungspraktiken in der DDR, komme ich aus dem Staunen nicht heraus, wie aktuell und ohne Diskussion diese transgenerational weitergegeben werden. Das spornt mich an, weiter im Diskurs zu bleiben und alte Muster zu hinterfragen. Kathrin Becker, Köln

„Mir geht’s um was“, taz vom 24. 9. 17

Wir sind international

Mit 4 Jahren – 1946 – sah ich von fern einen schwarzen GI und fragte: „Mutti, sind die Amis auch Menschen?“ Auch heute noch ertappe ich mich bei Vorurteilen, etwa wenn ein braunhäutiger Anzugsträger aus einem Mercedes steigt, wenn sich im Rathaus (!) am Telefon ein Mitarbeiter mit türkischem Namen meldet oder Hilal Szezgin sagt, ihre Muttersprache sei Deutsch.

Im Rahmen von „Erinnern für die Zukunft“ waren wir ein Leben lang beschäftigt, Verantwortung für die deutsche Vergangenheit zu übernehmen. Meine Scham, Deutsche zu sein, gepaart mit der elitären Opfermentalität der Kriegskinder, ist dem bescheidenen Stolz gewichen, besonders zu sein unter anderen Besonderen: Gleiche Geschichte, gleiche Sprache verbindet.

In der Schule wurde mir Ausländerfeindlichkeit vorgeworfen, weil ich alle in der Klasse als gleich angesehen habe: Sie wollten alle mit ihrer besonderen Herkunft beachtet werden . . .

Wie also sprechen wir mit einander?

Können wir mit unseren Vorurteilen jonglieren und „deutsche Identität“ neu buchstabieren lernen? Deutsche gemeinsam mit Deutschen mit fremd klingenden Namen – zum Beispiel konkret Malaika Rivuzumwami und ich, Heide Marie Voigt? Können wir „deutsch-international“ erfinden – gegen den Alleinvertretungsanspruch der „Identitären“?

Heide Marie Voigt, Bremen