Nicht reicher, sondern ärmer

Sollten die Katalanen ihre Unabhängigkeit erklären, riskieren sie ein ökonomisches Chaos. Die Wirtschaftsleistung dürfte um mindestens 20 Prozent fallen

Von Ulrike Herrmann

Viele Firmen würden die Flucht ergreifen, falls Katalonien seine Unabhängigkeit erklärt. Die Banken machten bereits den Anfang. Die Banco de Sabadell beschloss, ihren Sitz aus dem katalanischen Sabadell nach Alicante zu verlegen. Die katalanische Großbank Caixa will nach Valencia umziehen.

Die Institute fürchten, dass Katalonien nicht mehr der Eurozone angehören würde, wenn es in die Unabhängigkeit startet, sind jedoch darauf angewiesen, dass sie sich bei der Europäischen Zentralbank refinanzieren können – und bei Finanzkrisen gerettet werden.

Für die Geldhäuser ist es einfach, den Firmensitz ins spanische Kernland zu verlegen: Sie ändern nur ihre Adresse, Filialen und Mitarbeiter bleiben vorerst in Katalonien. Seit Freitag ist ein formaler Ortswechsel sogar noch unkomplizierter als bisher: Die spanische Regierung erließ ein Dekret, das nun ein Eilverfahren ermöglicht. Die Konzernspitze muss keine Hauptversammlung mehr einberufen, um den Firmensitz zu verlegen, sondern ein Beschluss des Aufsichtsrats reicht.

Doch nicht nur die Banken fliehen. Der Sekthersteller Freixenet erwägt ebenfalls, den Firmensitz zu verlegen. Das Energieunternehmen Gas Natural hat bereits beschlossen, nach Madrid abzuwandern. Auch US-Konzerne wie Hewlett Packard, General Electric, Pfizer, Coca-Cola, Cisco oder Dow Chemical dürften Katalonien verlassen, wie die US-Handelskammer in Spanien bereits angekündigt hat.

Bisher ist Katalonien eine der reichsten Gegenden Spaniens. Mit 7,5 Millionen Bürgern leben dort 16 Prozent der Bevölkerung, die aber 19 Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung erbringen. Bei den Exporten sind es sogar 25 Prozent. Denn in Katalonien ist die spanische Chemieindustrie zu Hause, Seat und Nissan betreiben zwei große Autowerke, und Barcelona gehört zu den zwanzig wichtigsten Häfen in der Europäischen Union. Auch bei Touristen ist die Provinz beliebt: 2016 kamen 75 Millionen Feriengäste nach Spanien, wovon sich 18 Millionen für Katalonien entschieden.

Die Arbeitslosigkeit liegt daher bei „nur“ 13,2 Prozent – 4 Prozentpunkte niedriger als im Rest des Landes. Gleichzeitig verdienen die Katalanen mehr: Das mittlere Jahresgehalt lag 2015 bei 20.972 Euro – und damit 1.500 Euro höher als in Gesamtspanien. In einigen Gegenden wird allerdings noch besser gezahlt: In Madrid erreichte der mittlere Lohn 26.500 Euro im Jahr, und im Baskenland waren es sogar 27.500 Euro.

Die Katalanen dürften an Wohlstand verlieren, falls sie sich für die Unabhängigkeit entscheiden. Der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos schätzt, dass die katalanische Wirtschaftsleistung „um 25 bis 30 Prozent fallen und sich die Arbeitslosigkeit verdoppeln“ könnte. „Die Verarmung der katalanischen Gesellschaft wäre brutal.“

Mit mindestens zwei Wirtschaftsproblemen hätte ein unabhängiges Katalonien zu kämpfen. Erstens: Das Land wäre nicht EU-Mitglied und auch nicht Teil des europäischen Binnenmarkts. Zwei Drittel der katalanischen Exporte gehen aber in die EU. Zudem wären die Lieferketten von und nach Spanien gestört: Viele Ausfuhren aus Katalonien hängen von Vorprodukten ab, die aus den Nachbarprovinzen stammen. Das Chaos wäre erheblich.

Zudem könnte Katalonien nicht einfach in die EU eintreten. Ein Veto Spaniens würde reichen, um die Aufnahme zu verhindern. Alternativ wäre vielleicht möglich, dass die Katalanen einen Status wie Norwegen erhalten. Doch dürften die Verhandlungen viele Jahre dauern – und umsonst wäre der Zugang zum Binnenmarkt auch nicht. Die Norweger zahlen derzeit etwa 166 Euro pro Kopf und Jahr an die EU.

Zweitens: Die Katalanen wären nicht mehr in der Eurozone. Wie die postjugoslawischen Balkanstaaten Montenegro oder Kosovo könnten sie zwar weiterhin den Euro als Zahlungsmittel nutzen – aber sie hätten keinen Einfluss auf die Entscheidungen in der Eurogruppe. Höchstwahrscheinlich müsste die Regierung eine Parallelwährung einführen, um handlungsfähig zu bleiben.

Die Schweizer Großbank Crédit Suisse teilt daher die Einschätzung von de Guindos: Katalonien würde etwa 20 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verlieren.