Tollheit und Methode

Wer gibt künftig den Ton an – die Fraktionschefs oder die Parteivorsitzenden? In der Linken wird hart um Macht gerungen. Im Zentrum: die Flüchtlingspolitik

Zur Vertiefung: Hamlet, zweiter Akt, zweite Szene Foto: Metodi Popow/imago

Aus Berlin Anna Lehmann

Die biedere Fassade des Kongresshotels Potsdam lässt kaum erahnen, welches Ränkespiel – Shakespeare! – an diesem Dienstag dahinter uraufgeführt wird. Hier trifft sich die neue Fraktion der Linkspartei zur zweitägigen Klausur. Es geht um die künftige Machtverteilung in der Fraktion: Wer setzt stärkere Akzente, wer bestimmt die Debatten? Die beiden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, die zur Wiederwahl stehen? Oder die nun zu zweit in der Fraktion vertretene Parteispitze Katja Kipping und Bernd Riexinger? Schon im Vorfeld wurde intrigiert, verleumdet und durchgestochen, was das Zeug hielt.

Da berichtete der Tagesspiegelaus ungenannter Quelle, Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn habe sich mit den beiden Parteivorsitzenden überworfen. Unsinn, widersprach Kipping. Höhn schweigt. Die Bild-Zeitung wusste zu vermelden, dass Riexinger über Wagenknecht gelästert habe und sie loswerden will. Stimmt nicht, meinte Riexinger. Und Wagenknechts Haus- und Hofmedium, die nachdenkseiten, erklären, warum die Linkspartei in Niedersachsen erneut den Einzug ins Parlament verpasste: Es liege an Intrigen aus dem Kipping-Umfeld.

Gleich zu Beginn der Fraktionsklausur wird am Dienstag über einen Antrag zur Geschäftsordnung abgestimmt, der es in sich hat: Die beiden Parteivorsitzenden sollen wieder stimmberechtigte Mitglieder des Fraktionsvorstands werden. So wie es bis 2013 der Fall war. „Es geht dabei nicht um eine Schwächung der Fraktionsvorsitzenden, sondern darum, der Partei wieder mehr Geltung zu verschaffen“, sagt Niema Movassat, einer der Antragsteller. Movassat gehört zum Landesverband Nordrhein-Westfalen, eigentlich die Hausmacht Wagenknechts. Doch selbst deren Anhänger finden, dass die Partei in der Außenwahrnehmung in den letzten vier Jahren etwas unter die Räder gekommen ist.

Die Äußerungen Wagenknechts und ihres Ehemannes Oskar Lafontaine zur Flüchtlingspolitik haben die Öffentlichkeit jedenfalls mehr beschäftigt als Kippings Buch zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Zuletzt hat das Duo Wagenknecht/Lafontaine die Flüchtlingspolitik der Partei infrage gestellt. Letzte Woche hatten dann Dutzende Linken-nahe Aktivisten Wagenknecht in einem offenen Brief direkt angezählt (siehe unten).

Lange schwieg die Parteiführung dazu. Am Sonntag ging Kipping im Parteivorstand in die Offensive. „Oskar meinte, […] dass unsere Haltung offener Grenzen ein Widerspruch zu Fragen sozialer Gerechtigkeit sei“, sagte Kipping laut Manuskript. „Wenn ich mal abziehe, was an seinem Beitrag schlichtweg nur ein unfaires Foul gegen eine Partei im Wahlkampf war […], dann kann uns auch dieser Beitrag voranbringen“, so Kipping. „Was wäre – um also den Punkt, den Oskar in der Sache macht, zu Ende zu denken – ein linkes Einwanderungsgesetz?“

Kipping warnt davor, Deutsche gegen Flüchtlinge auszuspielen, um Unentschiedene zu gewinnen: „Weder mit einfachen antirassistischen Slogans, noch mit wahltaktischem Konformismus gewinnen wir jene ideologisch Unentschiedenen.“

Die Linkspartei hatte bei der Bundestagswahl rund 430.000 Wähler an die AfD verloren. Gerade im Osten, in der Provinz, waren die Verluste spürbar, während die Partei im Westen, speziell im urbanen, grünen Milieu Wähler hinzugewinnen konnte. Um wen soll die Partei künftig buhlen – die braven Arbeiter oder die hippen Akademiker? Auch das ist Teil des Richtungsstreits. Es sei müßig, darüber zu streiten, meint Kipping. „Wir können sowieso nicht die einen gegen die anderen eintauschen.“