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Da geht noch was

In Berlin ist ein großes Startup-Ökosystem gewachsen. Der Anteil weiblicher Unternehmensgründer steigt, ist aber noch bescheiden

Der Anteil weiblicher Unternehmensgründer liegt bei 13,9 Prozent Foto: Alexander Heini/picture alliance

Von Kristina Simons

Seneit Debese verschafft hörgeschädigten und blinden oder sehbeeinträchtigten Filmliebhabern barrierefreie Kino­erlebnisse. Die beiden von ihr entwickelten Apps Greta und Starks machen es möglich. 2013 hat Debese in Berlin das gleichnamige Startup gegründet. Inzwischen gehören Verleiher wie Universal und Disney, Piffl, Neue Visionen und X-Verleih zu den Kunden von Greta & Starks. Debeses Team besteht heute aus fünf Leuten. Hörgeschädigte können sich die App Starks, Sehbeeinträchtigte die App Greta kostenlos im App-Store oder bei Google-Play herunterladen und bekommen dann barrierefreie Filmfassungen aufs Smartphone oder Tablet. Im Kino flüstert Greta dann passgenau in den Dialogpausen akustische Filmbeschreibungen (Audiodeskription), während Starks Untertitel einblendet. Ein Headset projiziert die Untertitel sogar auf die Leinwand. „Wir konnten bisher mehr als 370 barrierefreie Filme anbieten und damit über 270.000 Kinobesuche ermöglichen“, freut sich Debese. Auf den diesjährigen Deutschen Gründer- und Unternehmertagen wird sie dafür als Berliner Landessiegerin des KfW Award Gründen ausgezeichnet. Seneit Debese steht auch für eine Entwicklung, die der 4. Deutsche Startup Monitor (DSM) des Bundesverbands Deutsche Startups feststellt: Der Anteil weiblicher Unternehmensgründer steigt.

Aktuell liegt er zwar immer noch bei bescheidenen 13,9 Prozent. Doch im Vergleich zum 6,9-Prozent-Anteil an Frauen in den Vorständen der 160 börsennotierten deutschen Unternehmen ist das schon viel. In drei Viertel dieser Unternehmen sitzen laut einer Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young sogar ausschließlich Männer in den Topetagen.

Auch die IHK Berlin verzeichnet ein grundsätzlich hohes Interesse von Frauen an der unternehmerischen Selbstständigkeit. „Mittlerweile führen die IHKs fast jedes zweite Gespräch zur Existenzgründung mit Frauen“, bestätigt Jörg Nolte, Geschäftsführer Kommunikation und Marketing bei der IHK Berlin. Dass sich das nicht bei den tatsächlichen Unternehmensgründungen widerspiegelt, dürfte mehrere Gründe haben. „Deutlich mehr Frauen als Männer berichten den IHKs, dass sie nicht die Möglichkeit hatten, Gründungskapital für den Start anzusparen oder berufliche Netzwerke zu knüpfen, die beim Start in die Selbstständigkeit helfen“, so Nolte. „Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf würde mehr Mütter sowie auch Väter an dieser Stelle unterstützen und zudem häufiger eine Vollzeit-Selbstständigkeit ermöglichen.“ Auch Paul Wolter vom Bundesverband Deutsche Startups sieht die Familiengründung als mögliches Hemmnis für junge Gründerinnen. Ausreichend Ganztagskitaplätze oder vergleichbare Betreuungsangebote könnten das ändern. „Eine staatliche Förderung von Betriebskitas in Unternehmen und Coworking Spaces könnten ebenfalls eine Chance sein.“

Nolte und Wolter betonen zudem, dass besonders viele Startups in den Branchen High-Tech und IT gegründet werden und Absolventen dieser Bereiche bislang mehrheitlich männlich sind. Neben unterschiedlichen Initiativen für die sogenannten Mint-Fächer wirbt deshalb auch der Digitalverband Bitkom für mehr weibliche Startup-Gründer im Bereich IT und Bitkom-Präsident Achim Berg fordert ein Pflichtfach Informatik in der Schule. „Darüber hinaus gibt es bislang nur wenige Role-Models für Frauen als Gründerinnen“, ergänzt Nolte. „Aber auch in dem Punkt stellen wir Veränderungen fest.“ So wurden beispielsweise die Startups Outfittery, ein persönlicher Shopping-Service für Männer, und Tausendkind, ein Baby-Online-Shop, von Frauen gegründet. Beide übrigens in Berlin.

Am 13. und 14. Oktober 2017 finden die 33. Deutschen Gründer- und Unternehmertage (DeGUT) in der Arena Berlin-Treptow statt.

Jeweils von 10 bis 18 Uhr haben Förderer, Mentoren und Gründungsinteressierte die Möglichkeit, hier Kontakte zu knüpfen. 148 Aussteller sowie Experten von Banken, Wirtschaftsverbänden, Kammern und anderen Institutionen informieren über Finanzierungsmodelle, Versicherungsfragen, Fördermittel, Marketing, Verkauf, Recht und Personal. Außerdem gibt es ein kostenloses Seminar- und Workshopprogramm.

Weitere Informationen unter www.degut.de

Hier zeigt sich ein weiterer Trend der letzten Jahre: Nach wie vor werden die meisten Startups – 17 Prozent – in der Hauptstadt gegründet. Laut Konjunkturbericht Berlin waren es im ersten Halbjahr dieses Jahres 20.437. Das entspricht 48 Neugründungen pro 10.000 Einwohner, im Bundesdurchschnitt waren es 30. „In Berlin ist ein gutes und großes Startup-Ökosystem gewachsen“, sagt Nolte. „Es gibt viele – auch internationale – Fachkräfte, viele Hochschulen und Forschungsinstitute, Acceleratoren und Inkubatoren. Die Stadt ist international und weltoffen.“ Zudem sind die Rahmenbedingungen hier attraktiv. „Ein großes Angebot an Coworking Spaces, eine große Startup-Community bei vergleichsweise geringen Lebenshaltungskosten und eine zunehmende Internationalität sowie ein großes Freizeit- und Kulturangebot sind wichtige Standortfaktoren“, so Nolte.

Dass die Hauptstadt bei Gründern so beliebt ist, macht sich inzwischen auch die Politik zunutze. Für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller hat sich Berliner Startup-Szene in den letzten Jahren zu einem Markenkern des Wirtschaftsstandortes Berlin entwickelt. Die vielen Gründerinnen und Gründer sind für ihn einer der wesentlichen Treiber der dynamischen Wirtschaftsentwicklung Berlins.