Madiatorin über Energiewende-Streit: „Das ist alles ernstzunehmen“

Bei neuen Windparks mehren sich die Konflikte mit Anwohnern und Naturschützern. Es gebe aber auch Lösungen, sagt Mediatorin Bettina Knothe.

Ein Kran hebt einen Rotor auf ein Windrad

Die Windräder wachsen, die Proteste auch. In beiden Fällen helfen ExpertInnen mit den richtigen Verfahren Foto: dpa

taz: Frau Knothe, in der Eifel, im Odenwald, im Teltow-Fläming-Kreis protestieren Bürger_innen aktuell gegen Windanlagen in ihrer Nachbarschaft. Und das sind nur drei willkürlich ausgesuchte Beispiele. Was ist da los?

Bettina Knothe: Als die Pioniere der Erneuerbaren vor Jahren die ersten Anlagen errichtet haben, hieß es: Endlich, Windräder! Raus aus der Atomkraft! Windenergie war eine verheißungsvolle Technologie. Es gab nicht nur wenig Widerstand, sondern meist viel Befürwortung – von den Kommunen und Regionen und von den Menschen, die dort leben. Weil das so gut lief, passierte auch viel – zu Recht. Aber die bebaubaren Flächen wurden weniger und kleiner. Jetzt gibt es eben auch Menschen, die sagen: Stopp, mehr wollen wir nicht oder zumindest so nicht.

Das heißt, die Energiewende geht den Leuten zu weit?

Das hat in den allermeisten Fällen nichts mit der Energiewende an sich zu tun. Vielmehr wird es ein Problem, wenn ein Projekt vor der eigenen Haustür verwirklicht werden soll.

Mehr als 28.000 Windräder stehen derzeit in Deutschland, vor 17 Jahren waren es gerade mal 1.000. Hinzu kommen Solarparks und Biogasanlagen. Damit greift die Energiewende in Ökosysteme und das Lebensumfeld der Anwohner_innen ein. Das sorgt für Konflikte, von denen etliche vor Gericht landen.

Zwischen 10.000 und 100.000 Vögel, darunter geschützte Arten, sterben verschiedenen Studien zufolge jedes Jahr, weil sie mit Windanlagen kollidieren. Plus doppelt so viele Fledermäuse.

Anwohner_innen stärker zu beteiligen, ist ein Ansatz, kritische Punkte in Planungen rechtzeitig besser abschätzen und die Probleme dann minimieren zu können.

Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende arbeitet unter der Trägerschaft der Michael Otto Stiftung für Umweltschutz in Hamburg. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums bildet es unter anderem Mediator_innen aus.

Was bedeutet das?

Es gibt viele Gründe, gegen eine Windanlage zu sein: persönliche Besorgnis oder Ängste. Häufig wissen die Menschen nicht, mit welchen Auswirkungen sie zu rechnen haben: Verliert das eigene Grundstück an Wert, wird der Wald zerstört, verursachen Lärm oder Infraschall gesundheitliche Probleme? Das sind alles ernst zu nehmende Anliegen.

Die Diplom-Biologin, Mediatorin und Yoga-Lehrerin leitet die Abteilung Konfliktberatung beim Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende.

Was ist mit Naturschutz? Von Artenschützern hört man, Vögel oder Fledermäuse würden in den Rotoren geschreddert. Windenergiebefürworter behaupten, Tierleichen würden extra unter den Windrädern abgelegt.

Auch das treibt die Menschen um. Es gibt natürlich Schlag­opfer – Vögel und Fledermäuse, die mit Rotorblättern kollidieren. Manchmal auch, obwohl Gutachter grünes Licht für das Projekt gegeben haben. Es ist nicht leicht, ein starres technisches Konzept mit den dynamischen Vorgängen in der Tier­ökologie oder der Landschaftsökologie zu vereinbaren. Da gibt es noch Forschungsbedarf. Anwohner_innen haben oft ein großes lokales Wissen. Sie kennen die Orte, wo Rotmilane sind, Mäusebussarde brüten. Und ob tote Vögel irgendwo hingelegt werden? Dazu haben wir keine gesicherten Informationen.

Ist die Situation nicht schon völlig verfahren, wenn so ein Vorwurf im Raum steht?

Ja, dann ist im Vorfeld etwas schiefgelaufen. Diese Konflikte kommen oft von Personen, die sagen, die ganze Planung ist an uns vorbeigegangen. Sie sind frustriert, verärgert über die Firma oder die Kommune. Manchmal haben sie Informationen von Dritten, die sie interpretieren, ohne genau zu wissen, wie der Prozess bis dahin tatsächlich gelaufen ist. Wenn daraus Anschuldigungen und Widerstände entstehen, wäre das ein Thema für eine Moderation oder auch Mediation.

Wie finden Sie heraus, was stimmt?

Das muss ich gar nicht. Ziel ist es herauszubekommen, was der Kern des Konflikts ist, was alles mit hineinspielt – das können die Ängste, Sorgen und unterschiedlichen Einschätzungen sein, aber auch persönliche Streitigkeiten. Ich würde fragen: Wann haben Sie wo was gesehen, was bringt Sie zu der Annahme, dass …? Darum geht es in einer Mediation: die Dynamik des zumeist öffentlichen Schlagabtauschs zu unterbrechen, das Übereinanderreden zu beenden und stattdessen gemeinsam herauszufinden, was ist dran an dieser Aussage: Da liegt ein toter Vogel.

Wann braucht man überhaupt eine Moderation?

Wir bemühen uns um frühzeitigen Kontakt auch zu Planungsbehörden, um dort dafür sensibilisieren zu können, wie wichtig es ist, frühzeitig Interessengruppen über das formale Verfahren hinaus einzubinden. Wenn man wartet, bis es zu einem öffentlichen Streit oder Protesten gegen eine geplante Anlage gekommen ist, sind leider viele Verfahrensschritte bereits definitiv abgeschlossen: Mögliche Eignungs- und Vorranggebiete sind im Raumordnungsverfahren, in den Regional- und in den Projektplänen vor Ort untersucht und festgelegt worden, begleitet von formalen Beteiligungsprozessen. Es gab also bereits formale Stellungnahmen, Einwände, die Abwägung des Vorhabenträgers und so weiter.

Werden diese Beteiligungsmöglichkeiten zu wenig genutzt?

Es gelingt nicht immer, die Öffentlichkeit informiert zu halten. Und wer kennt schon die Einspruchsfristen? Die Naturschutzverbände sind da zumeist gut aufgestellt und leisten auf Landesebene sehr qualifizierte Beiträge. Die Anwohner_innen dagegen erfahren von einer geplanten Maßnahme manchmal erst, wenn der Projektträger einen Genehmigungsantrag bei der Kommune stellt. Dann ist das Vorhaben schon gut abgesichert, es gibt vielleicht schon Pachtverträge mit den Landeignern – da ist es dann rein rechtlich betrachtet einfach schon sehr spät.

Kann man dann überhaupt noch etwas erreichen?

Ja, aber dann geht es nicht mehr darum, ob bestimmte Flächen genutzt werden, sondern nur noch wie. Hier kann eine Moderation oder Mediation helfen, einen informellen Beteiligungsprozess zu strukturieren, auch um dem Gefühl der Ohnmacht und des Nicht-Gehört-Werdens entgegenzuwirken.

Ist das dann mehr als Schönfärberei?

Nicht, wenn es wirklich den Raum dazu gibt, mit zu entscheiden, wie stark die Flächen genutzt werden, wie hoch und leistungsstark die Anlagen sind, wie sie positioniert werden, wie dicht, in welchem Abstand etwa zu Ansiedlungen oder Horstplätzen von Vögeln. Oder auch, welche technischen Schutzkonzepte beispielsweise durch Abschaltzeiten der Anlage für bedrohte Vögel oder Fledermäuse oder zur Vermeidung von Schattenwurf eingesetzt werden müssen; wie man Lärm- und andere Belastungen minimieren kann. Sehr wichtig für die Akzeptanz sind auch Ausgleichsmaßnahmen: Jeder Eingriff in die Natur muss ja ökologisch ausgeglichen werden. Durch Neupflanzungen etwa oder neue Schutzgebiete oder Ausweichquartiere für bestimmte Tierarten.

Wenn meine Lieblingswiese zugestellt wird, bekomme ich ein neues Naherholungsgebiet?

Ich weiß von einem Konzept in Rheinland-Pfalz, wo der Projektträger für eine landschaftlich reizvolle Fläche in der Nähe eines Windparks mit der Gemeinde zusammen ein neues touristisches Konzept entwickelt hat. Dazu gehörten ein Lehrpfad mit Ausstellung im örtlichen Heimatmuseum sowie die Errichtung einer Hängeseilbrücke als touristische Attraktion.

Kann es auch Geld als Kompensation geben?

Alles ist möglich, wenn es unter den Beteiligten ausgehandelt wird. Manchmal bietet der Vorhabenträger eine Beteiligung an den Windanlagen an oder Spareinlagen, oder er bietet für einige Anlagen spezielle Kooperationsangebote an, um sie als Bürgerenergieprojekte zu betreiben.

Wen laden Sie zu den Moderations- oder Mediationsprozessen ein?

Das kommt auf den jeweiligen Fall an. Bürgermeister, Oberbürgermeisterin, Vertreter_innen der Genehmigungsbehörde, Gemeinde- und Stadträte im kleinen Kreis, den ­Vorhabensträger. Dann geht es vor allem auch darum, diejenigen in einen öffentlichen Diskurs mit einzuladen, die vielleicht erst mal eher nichts sagen, aber über ein beträchtliches lokales Wissen verfügen und auch ein Interesse an der Entwicklung und den Belangen ihrer Gemeinde haben. Mehr Menschen in den Diskurs einzuladen sorgt dafür, dass die Diskussion breiter und differenzierter wird.

Wer bestellt eine Moderation oder Mediation? Der künftige Windparkbetreiber?

Das müssen die Akteure gemeinsam überlegen. Auch: Wer bezahlt das? Theoretisch kann das ein Vorhabenträger sein. Er könnte das Geld sicher und vielfach auch gerne bereitstellen. Allgemein akzeptiert ist ein Moderator oder eine Mediatorin aber sicherlich dann, wenn sie die Kommune oder Gemeinde engagiert.

Was kostet das dann?

Für ein komplettes Verfahren der Mediation mit Vorgesprächen, gemeinsamen Sondierungsgesprächen im Vorfeld oder auch während des Verfahrens sollten möglichst zwei professionelle Mediator_innen bereitstehen. Dies gibt die Möglichkeit, Sitzungen von 4 bis 6 Stunden aufmerksam, konzentriert und den Bedarfen der Konfliktparteien angemessen zu moderieren. Jedes Verfahren ist aber so individuell, dass hier eine Kostenschätzung mit konkreten Zahlen unseriös wäre. Das Geld wert ist es in jedem Fall.

Und was kostet es, wenn ein Bauvorhaben kurz vor dem Ziel noch wegen anhaltender Widerstände gestoppt oder der Prozess komplett neu aufgerollt werden müsste?

Ziemlich sicher bedeutend mehr als eine professionelle Mediation.

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