Revolutionskalender
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8. März (23. 2.) 1917

Seit Wochen gibt es in Petrograd (heute Sankt Petersburg) Demonstrationen und Streiks. Die Versorgung ist zusammengebrochen. Menschen hungern. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, schließen sich Soldatenmütter und Arbeiterinnen den Aufständen an – es ist der Beginn der Februarrevolution. Der Zar schickt das Militär und lässt auf Demonstranten feuern. 60 Tote. Doch ganze Regimenter wechseln die Seiten.

15. März (2. 3.) 1917

Zar Nikolaus II. legt seine Krone ab, Nachfolger wird sein Bruder Michail – der am folgenden Tag ebenfalls auf den Thron verzichtet. Damit endet die mehr als 300-jährige Herrschaft der Romanow-Dynastie in Russland.

März 1917

Die Zensur wird aufgehoben. Es herrscht Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Russland wird demokratisch. Nach der Abdankung des Zaren etabliert sich eine Doppelherrschaft aus der bürgerlichen Provisorischen Regierung und dem Petrograder Sowjet, den Arbeiter- und Soldatenräten. Dort geben die gemäßigten Sozialisten, Menschewiki und Sozialrevolutionäre den Ton an. Die Bolschewiki sind in der Minderheit. Der einzige Sozialist in der Regierung ist Alexander Kerenski.

Frühjahr 1917

„Das revolutionäre Proletariat wird die monarchische Reaktion aus all ihren Schlupfwinkeln vertreiben; und es wird dem Proletariat in Deutschland und ganz Europa seine Hand entgegenstrecken. Nicht nur der Zarismus, sondern auch der Krieg muss liquidiert werden.“

Leo Trotzki in den USA nach Bekanntwerden des Umsturzes

3. April (16. April)

Lenin kehrt aus dem Schweizer Exil nach Russland zurück. Das deutsche Kaiserreich lässt den Revolutionär im plombierten Zug durch Deutschland fahren – in der Hoffnung, dass Lenin für Chaos bei dem russischen Kriegsgegner sorgt. Lenin verkündet in Petrograd die radikalen „Aprilthesen“, in denen er das Ende der russischen Kriegsbeteiligung, die Absetzung der Provisorischen Regierung und die Errichtung der Sowjetrepublik fordert. Die Botschaft ist klar: Die Bolschewiki wollen die Macht.

Fortsetzung auf Seite 6

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Juli (Juni) 1917

Kriegsminister Alexander Kerenski ordnet eine militärische Offensive gegen Deutschland und Österreich-Ungarn an. Doch die Bevölkerung ist kriegsmüde. Frieden so schnell wie möglich – das ist die populärste Forderung. Trotzdem setzt Kerenski seinen Plan durch – nicht zuletzt, um für Russland günstigere Bedingungen bei Friedensverhandlungen mit den Deutschen zu schaffen. Doch die Offensive, personell und strategisch schlecht vorbereitet, scheitert. Hunderttausende Soldaten desertieren. In Petrograd gehen Regimenter gegen ihren Marschbefehl auf die Straße. Die gescheiterte Julioffensive ist der Anfang von Kerenskis politischem Ende. Und der Boden für die Oktoberrevolution.

3.–7. (16.–20.) Juli 1917

Die Bolschewiki versuchen die Schwäche der Provisorischen Regierung auszunutzen und die Doppelherrschaft abzuschaffen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist desaströs, die Truppen sind vollends demoralisiert. Die Bolschewiki rufen zum Generalstreik und zu Demonstrationen auf, Tausende folgen. Die Regierung ruft den Ausnahmezustand aus. Der Juli-Aufstand der Bolschewiki wird von Regierungstruppen niedergeschlagen. Die Provisorische Regierung übernimmt danach die alleinige Herrschaft – unter der Führung Alexander Kerenskis. Die Bolschewiki werden in die Illegalität gezwungen, Lenin geht in den Untergrund.

7. November (25. 10.) 1917

Die Bolschewiki übernehmen in Petrograd die Macht. Sie besetzen abends das Winterpalais, den früheren Sitz des Zaren, in dem die Provisorische Regierung tagt, und verhaften deren Minister. Kerenski flieht. Das eher unspektakuläre Geschehen wird später zur „Großen sozialistischen Oktoberevolution“ verklärt. Kurz nach dem Beginn der „Oktoberrevolution“ tagt der II. Allrussische Kongress in Petrograd; er billigt, gegen den Protest der gemäßigten Sozialisten, den Umsturz. Trotzki lehnt da Angebot der Gemäßigten zu einer gemeinsamen Regierung mit den Worten ab, diese gehörten „auf den Kehrrichthaufen der Geschichte“.

8. November (26. 10.) 1917

„Es wird berichtet, dass der Petrograder Rat der Arbeiter und Soldaten ein Kabinett ernannt hat mit Lenin als Premier, Trotzki als Außenminister und Madame oder Mademoiselle Kollontai als Erziehungsminister. Widerlich!“

Bericht des US-amerikanischen Botschafters in Russland, David Rowland Francis, an Washington

November 1917

„Alles, was lebt und lebensfähig ist, wird aus den verhassten Fesseln befreit. Es bleiben nur noch die Völker Russlands, welche Unterdrückung und Mutwilligkeit erduldet haben und noch erdulden und deren Ent­sklavung umgehendst beginnen, deren Befreiung durchgeführt werden muss, entschieden und unwiderruflich.“

Aus der Deklaration der Rechte der Völker Russlands, die die Bolschewiki nach ihrer Machtübernahme verabschiedeten

November 1917

Bei den Wahlen werden die Sozialrevolu­tio­näre mit Abstand stärkste Partei. Die Bolschewiki bekommen rund 25 Prozent.

20. (7.) Dezember 1917:

Die Tscheka, die „Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“, wird gegründet. Ihr Chef wird Felix Dserschinki. Einer seiner ersten Befehle lautet, dass „alle Vertreter des alten Regimes“ zu erschießen sind. Es ist die Geburtsstunde der Geheimpolizei, die in den folgenden Jahren Hunderttausende inhaftiert und exekutiert.

18. (5.) Januar 1918

Die im November gewählte verfassunggebende Versammlung, die Konstituante, tritt zusammen – und wird am nächsten Tag von den Bolschewiki aufgelöst. Es ist der Beginn der Diktatur.

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Februar 1918

Russland stellt auf den gregorianischen Kalender um; 336 Jahre nach seiner Einführung. Auf den 31. Januar folgt der 14. Februar. Das Leben in Sowjetrussland folgt nun der gleichen Zeitrechnung wie das im Rest Europas. Die Umstellung ist zudem ein Schlag gegen die orthodoxe Kirche Russlands – die ihre Feiertage nach dem julianischen Kalender ausrichtet. Der Jahrestag der Oktoberrevolution wird fortan im November gefeiert.

3. März 1918

Nach der Revolution drängt die bolschewistische Führung auf ein Ende der russischen Kriegsbeteiligung. Seit Januar verhandelt eine Delegation unter Trotzki mit den Deutschen, aber ohne Erfolg. Deutsche Truppen rücken weiter nach Osten vor. Lenin akzeptiert schließlich den Friedensvertrag von Brest-Litowsk zu den Bedingungen Deutschlands: Sowjetrussland tritt Polen, das Baltikum, Finnland und die Ukraine ab.

Frühjahr 1918

In Russland herrscht Bürgerkrieg. Die neu gegründete „Rote Armee“ unter Leo Trotzkis Führung kämpft gegen die „Weißen“, Gegner der Bolschewiki, und auch „Grüne“, eine Partisanenarmee, die sich aus von Bolschewiki enteigneten Bauern rekrutiert. Im Mai beginnt die Zeit des „Kriegskommunismus“ – einer Politik, die die gesamte Wirtschaft unter eine zentrale Verwaltung bringen soll. Das betrifft Unternehmer ebenso wie die Bauern. Die Revolution soll auch in die Dörfer getragen werden. Damit wird der Bürgerkrieg ausgeweitet

20. Mai 1918

„Nur wenn es uns gelingt, das Dorf in zwei unversöhnliche Lager zu spalten, wenn wir in der Lage sind, dort denselben Bürgerkrieg zu entfachen, zu dem es vor nicht allzu langer Zeit in den Städten gekommen ist, erst dann werden wir sagen können, dass wir mit dem Dorf dasselbe machen werden, was uns mit der Stadt geglückt ist.“

Jakow Michailowitch Swerdlow, seit August 1917 Vorsitzender des Sekretariats des Zentralkomitees (ZK)

16./17. Juli 1918

Die Bolschewiki lassen die Zarenfamilie Romanow in Jekaterinburg hinrichten. Dorthin waren sie im Mai aus ihrem ersten Exil in Sibirien überführt worden. In der Nacht auf den 17. Juli wird die Familie auf Anordnung des Rats der Volkskommissare im Keller von Tschekisten getötet.

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30. August 1918

„Ich heiße Fanja Kaplan. Heute habe ich auf Lenin geschossen. Ich tat das nach eigener Entscheidung. Ich werde nicht sagen, von wem ich den Revolver bekommen habe. Ich werde keine Details nennen. Ich hatte schon lange beschlossen, Lenin zu töten. Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution. Ich war wegen meiner Teilnahme an einem Attentat gegen einen zaristischen Beamten in Kiew nach Akatui verbannt und habe elf Jahre in der Zwangsarbeit verbracht. Nach der Revolution wurde ich freigelassen. Ich war Anhängerin der Konstituante und bin es heute noch.“

Die mutmaßliche Lenin-Attentäterin Fanja Kaplan, Mitglied der Sozialrevolutionäre, wurde anschließend ohne Gerichtsverfahren exekutiert.

Herbst 1918

„Nur ist das Heilmittel, das Trotzki und Lenin gefunden: die Beseitigung der Demokratie überhaupt, noch schlimmer als das Übel, dem es steuern soll: es verschüttet nämlich den lebendigen Quell selbst, aus dem heraus alle angeborenen Unzulänglichkeiten der sozialen Institutionen allein korrigiert werden können. Das aktive, ungehemmte, energische politische Leben der breitesten Volksmassen. Freiheit ist immer nur Freiheit des Andersdenkenden.“

Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Zur Russischen Revolution“

6. März 1919

„Wir fordern die Arbeiter und Arbeiterinnen aller Länder auf, sich unter dem kommunistischen Banner zu vereinigen, unter dessen Zeichen die ersten großen Siege bereits erfochten sind. Proletarier aller Länder! Im Kampfe gegen die imperialistische Barbarei, gegen die Monarchien, gegen die privilegierten Stände, gegen das bürgerliche Eigentum, gegen alle Arten und Formen der sozialen oder nationalen Bedrückung – vereinigt euch! Unter dem Banner der Arbeiterräte, des revolutionären Kampfes für die Macht und die Diktatur des Proletariats, unter dem Banner der Dritten Internatio­nale, Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Aus dem Manifest der Kommunistischen Internationalen, unterzeichnet in Moskau.

1920

Die wirtschaftliche Lage in Sowjetrussland ist katastrophal, die Menschen hungern, Lebensmittel sind rationiert. Im Governement Tambow zwischen Wolga und Ural protestieren Bauern gegen die Einziehung ihres Getreides. Sie verweigern die Auslieferung und wehren sich teils nur mit Heugabeln und Sensen bewaffnet. Die Artillerie schießt den „Aufstand der Gabeln“ nieder. Es folgen weitere Bauernaufstände.

1921–1922

Die Aufstände der Bauern werden letztendlich von einer verheerenden Hungersnot beendet. Das Jahr 1920 hatte eine schlechte Ernte gebracht, zudem wurde sämtliches Getreide vom Staat konfisziert. ­Schätzungen gehen von bis zu fünf Millio­nen verhungerten Menschen aus. Aufstände in der Bevölkerung werden brutal unterdrückt.

Februar bis 18. März 1921

Am 22. Februar kürzen die Bolschewiki die Brotrationen um ein Drittel. Tausende Fabrikarbeiter treten in den Streik. Die Bolschewiki gehen auch gegen ihre eigene Klientel vor: die Arbeiter und Soldaten. In Petrograd wird das Kriegsrecht ausgerufen. Unter dem Motto „Alle Macht den Sowjets – Keine Macht der Partei“ rebellieren im finnischen Kronstadt stationierte Matrosen gegen die Sowjetregierung. Sie fordern Neuwahlen. Am 2. März schließen sich viele Kronstädter Bolschewiki dem Aufstand an. Der Aufstand wird brutal niedergeschlagen. Tausende werden zum Tode oder zu Lagerhaft verurteilt.

21. Januar 1924

Wladimir Iljitsch Lenin stirbt im Alter von 53 Jahren. Sein Leichnam liegt noch heute im Lenin-Mausoleum in Moskau.