Qualifizierung von Dolmetscherinnen: Vergewaltigung, Missbrauch: wenn Übersetzer*innen keine Worte finden

Erstmals sollen Frauen, die in Beratungen dolmetschen, für die schwierige Aufgabe qualifiziert werden. Für Männer fühlt sich niemand zuständig

Häusliche Gewalt: Auch Übersetzer*innen finden häufig keine Worte Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Sie sitzen dabei, wenn ein Kind in einer Beratungsstelle über den Missbrauch durch seinen Vater spricht. Oder Frauen von einer Vergewaltigung berichten. Oder ein Familienvater erzählt, wie auf der Flucht seine Kinder ertrunken sind. Dabei sollen sie nichts anderes tun, als das Gehörte auf Deutsch zu übersetzen, sodass es die Beraterin versteht. Doch das, berichten übereinstimmend Mitarbeiterinnen von Bremer Beratungseinrichtungen, können nicht alle Übersetzer*innen.

„Wir bauen immer einen kleinen Puffer für die Vor- und Nachbesprechung mit der Dolmetscherin ein“, sagt etwa Sandra Reith, Psychologin bei Schattenriss, einem Verein, der sexuell missbrauchte Mädchen betreut. Vorher sei es wichtig zu klären, dass sich die Sprachmittlerinnen nicht in das Gespräch einmischen. „Manche denken, sie müssten helfen.“ Andere hätten Schwierigkeiten, das Gehörte zu verarbeiten.

Das liegt daran, dass die von der Performa Nord vermittelten Sprachmittlerinnen keine andere Qualifikation für ihre Tätigkeit haben als ihre Deutschkenntnisse. Eine von der Gleichstellungsbeauftragten und Refugio, dem Beratungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer organisierte Fortbildung soll dies jetzt ändern.

Sie beginnt Mitte November, ist kostenlos, richtet sich ausschließlich an Frauen und heißt „Schwerpunkt Flüchtlingsfrauen und Gewalt“. An vier halben Tagen soll sie Grundlagenkenntnisse über Gewalterfahrungen und ihre Verarbeitung vermitteln und den Sprachmittlerinnen dabei helfen, ihre Rolle zu finden.

Seit zwei Jahren vermittelt Performa Nord, ein Eigenbetrieb des Landes Bremen, Übersetzer*innen, zuvor hatte dies in Bremen das Gesundheitsamt getan.

Laut einer Sprecherin werden jährlich 13.000 bis 14.000 Übersetzungsanfragen gestellt, die meisten kommen vom Amt für soziale Dienste, vom Jobcenter, dem Gesundheitsamt und der städtischen Krankenhausgesellschaft Geno.

Nur ein oder zwei der rund 300 Übersetzer*innen seien professionelle Dolmetscher*innen, sagt eine Sprecherin der Performa Nord.

Am häufigsten nachgefragt würden Arabisch, Farsi, Kurdisch und Somali – letztere ist eine der Sprachen, bei denen es immer wieder zu Engpässen kommt. Auch bei anderen afrikanischen Sprachen fehle es immer wieder an geeigneten Übersetzer*innen, sagt die Performa-Sprecherin. Derzeit suche sie zudem nach Polnisch- und Russischsprechenden.

Die Nachfrage ist seit der Zuwanderung der Geflüchteten im Winter 2015 sprunghaft angestiegen.

In den Wohnheimen übersetzen in der Regel andere Bewohner, meistens Männer, was nach Einschätzung von Beraterinnen dazu führt, dass viele der dort lebenden Frauen sich nicht trauen, Probleme oder Gewalterfahrungen anzusprechen.

Innerhalb von zwei Tagen sei die für zwölf Teilnehmerinnen konzipierte Veranstaltung ausgebucht gewesen, sagt Margaretha Kurmann, Mitarbeiterin der Gleichstellungsbeauftragten. „Der Bedarf ist sehr groß.“ Es seien oft sehr junge Frauen, manche hätten selbst Fluchterfahrungen. Sie habe immer wieder von Sprachmittlerinnen gehört, die sich moralisierend eingebracht hätten. Ein anderes Problem sei, wenn die Übersetzerinnen überfordert seien, sagt Kurmann. „Das beeinträchtigt die Beratung, wenn jemand im Raum nicht damit klar kommt, was erzählt wird.“ Deshalb sollten die Sprachmittlerinnen wissen, was sie aushalten – und welche Kontexte sie besser vermeiden.

Bezahlt wird die Fortbildung jetzt einmalig als Projekt von der Gleichstellungsbeauftragten. „Wir haben dafür eigentlich kein Geld, aber es fühlt sich sonst keine senatorische Behörde zuständig“, sagt Kurmann. Daher ist der Teilnehmerkreis auf Frauen beschränkt. „Männer bräuchten so eine Fortbildung natürlich genauso.“

Etwas weniger als die Hälfte der 300 Personen, die die Performa Nord in ihrer Kartei hat, sind Frauen. Leben könnten die wenigsten von den Übersetzungsdiensten, sagt Insa Stütze, stellvertretende Projektleiterin bei Performa Nord, einem Eigenbetrieb des Landes Bremen. Dieser nimmt 7,50 Euro für die Vermittlung der Dienstleistung, die Übersetzer*innen bekommen 24 Euro pro Stunde. Hinzu kommen 16 Euro Fahrtkosten.

Diese Kosten müssen die Auftraggeber selbst zahlen. Das ist ein Problem für alle – besonders trifft es aber kleine Beratungsstellen wie Schattenriss oder den Notruf Bremen, der erwachsenen Opfern von sexualisierter Gewalt hilft.

„Wir brauchen mittlerweile nahezu täglich eine Übersetzungshilfe“, sagt die Notruf-Mitarbeiterin Sonja Schenk, „dafür haben wir aber keine Ressourcen.“ Im Etat vorgesehen sei ein Dolmetscher pro Woche – um nicht in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, sei der Verein deshalb gezwungen, sich selbst ein Limit zu setzen.

Anders als in Bremen übernimmt im Nachbarland Niedersachsen der Staat die Kosten für Übersetzungsdienstleistungen – wenn Frauen oder Mädchen beraten werden. Maximal 50 Euro zahlt er auf Antrag. Bis April konnten dies nur Gewalt- und Schwangerenberatungsstellen in Anspruch nehmen, jetzt wurde der Kreis erweitert auf „Einrichtungen, die in Niedersachsen Beratungsgespräche und Veranstaltungen mit geflüchteten Frauen verwirklichen“, wie es im Info-Flyer heißt. 300.000 Euro jährlich stellt Niedersachsen für das Projekt „Worte helfen Frauen“ zur Verfügung und will damit „eine gleichberechtigte Teilhabe und Gleichstellung der Geschlechter“ fördern.

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