Formen der Beobachtung

STASI INTIM Das Zeughauskino zeigt Marc Thümmlers „Der Radfahrer“ und andere Kurzfilme über die Arbeit der Stasi

Die Sprache des Sozialismus war auch eine Art Mauer, hinter der Individualität verschwinden musste

VON BERT REBHANDL

Ein Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit musste auf vielen Feldern versiert sein. Er musste ein guter Beobachter sein („aus der Wohnung ist leise Musik zu vernehmen“, „das mittlere Fenster steht offen“). Er musste aber auch einordnen können, was ein augenscheinlich regimekritischer Fotograf wie Harald Hauswald so machte (er nahm „sogenannte Augenblicksmotive“ auf), und bei besonders gründlicher Berichtführung, die in dem konkreten Fall absolut gegeben war, war auch eine kunstkritische Einschätzung angeraten (die Bilder von Hauswald wurden als „trist, aber nicht grundsätzlich pessimistisch“ eingeschätzt, dem Fotografen insgesamt „eine gute Beobachtungsgabe“ bescheinigt).

Wir wissen über diesen speziellen Fall so gut Bescheid, weil Marc Thümmler 2008 in dem Dokumentarfilm „Radfahrer“ die Akte Hauswald noch einmal öffnete und ausführlich daraus zitierte. Zu sehen sind dabei die Fotografien aus dem Alltag der DDR, derentwegen die Stasi den Genossen „Radfahrer“ so genau unter Beobachtung hielt. Zwei Formen von Beobachtung stehen hier einander gegenüber, eine zweckfreie, die versucht, den Alltag in einem totalitären System lesbar zu machen, und eine instrumentelle, die dazu beiträgt, das System totalitär zu machen. Die gewundene Objektivität, zu der sich der Stasi-Spion bemüßigt fühlt, enthebt ihn der persönlichen Verantwortung. Er klingt wie ein Automat, in den der Sozialismus die Exaktheit der wissenschaftlichen Prinzipien des großen Menschenexperiments eingespeist hat.

Marc Thümmlers „Radfahrer“ ist heute und morgen im Zeughauskino im Rahmen eines hochinteressanten Kurzfilmprogramms zu sehen, das den Titel „Stasi intim“ trägt und in den größeren Zusammenhang des Themenschwerpunkts „Ostfront/Westfront“ gehört. Weitere Programme handeln vom „Alltag zwischen den Fronten“, unter dem Titel „Schaut auf diese Stadt“ sind Zeugnisse aus Berlin vor und nach 1989 zu sehen.

„Ein Staat in Panik“ zeigt zum Beispiel Kurt Krigars „Die Aussicht“ (eine Mauerschau an der Bernauer Straße anno 1965), und „Rock the Wall“ zeigt musikalische Beiträge wie Helmut Jahns populären Remix „Berlin, Berlin“, in dem die Gropiuslerchen den Fall der Mauer besingen und die Parole „Wir sind das Volk“ zum Hitmaterial wurde. „Rock the Wall“ birgt aber auch eine kleine Überraschung. Der zweiminütige Propagandafilm „Auftrag erfüllt: Günter Guillaume kehrt zurück“ zeigt den Spion, der 1974 die Bundesrepublik erschütterte und 1981 nach einem Agentenaustausch in die DDR zurückkehren konnte, auf der Fahrt nach Hause. Er sitzt mit seiner Gattin auf der Rückbank eines Wagens und blickt versonnen in die Landschaft, dazu ertönt aus dem Off ein kommunistisches Lied: „Genossen, ihr werdet nicht oft besungen, wir wissen schon, was ihr für uns tut.“

Programmierte Sprache

Wer dabei den Eindruck bekommt, dass die DDR ein Flower-Power-Staat war, wird aber vor allem durch die Schulungsfilme der DDR eines Besseren belehrt.

In „Operative Psychologie“ erläutern Mitarbeiter der Grenzpolizei am Checkpoint Charlie ihre Tätigkeit. Sie besteht in der Abwehr von „Terrorakten“, worunter alle Versuche zu verstehen sind, unerlaubt die Grenze nach Westberlin zu passieren. Es sind einfache Angestellte, die vorgeführt werden, zwischendurch sieht man, dass sie ihren Text vom Blatt lesen oder auswendig gelernt haben. Aber auch so würde auffallen, dass sie nicht in einem persönlichen Tonfall reden, sondern wie programmiert.

Die Sprache des Sozialismus war auch so etwas wie eine Mauer, hinter der Individualität verschwinden musste. Daran erinnern die Filme im Zeughaus, die samt und sonders sehr sehenswert sind.

■ Zeughauskino, 6. und 7. 11.