Warum zieht es so viele nach Berlin?

Immer mehr Menschen kommen in die Stadt. Natürlich der Liebe wegen. Um zu arbeiten oder zu studieren. Und auch aus der Not heraus. Vier Protokolle

Wachsendes Berlin: 60.000 Zuzügler kamen im Jahr 2016, bis 2030 soll die Bevölkerungszahl um weitere 180.000 Menschen steigen. 2035 wird Berlin die Vier-Millionen-Marke knacken, so eine Prognose des Instituts der Deutschen Wirtschaft.

Das bedeutet: Berlin wird voller. Wohnraum wird knapper. Enger wird es in den Grünanlagen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Kitas und Schulen. Krankenhausbetten und entsprechendes Personal werden benötigt, auch die Zahl der Mitarbeiter in allen Behörden muss steigen. Wie plant Berlin dieses Wachstum? Wird überhaupt geplant? taz.berlin geht in einer Serie all diesen Fragen und Problemen nach. Heute der Auftakt. (taz)

Rene K., Mitte 30, Obdachloser, stammt aus Prag
: „Von Anfang an ging alles schief“

Foto: Sophie Isabel Gunderlach

Ich bin im Dezember 2016 aus Prag nach Berlin gekommen. In Tschechien ging es mir nicht schlecht, ich hatte einen Job, eine Wohnung, einen stabilen Freundeskreis. Aber ich wollte mehr erreichen, eine bessere Aussicht auf meine Zukunft haben, darum bin ich nach Berlin gekommen.

Eigentlich wollte ich hier arbeiten, aber es ging von Anfang an alles schief. Ich habe nichts gefunden, wobei ich inzwischen wirklich jeden Job machen würde – Hauptsache, mein Hund hat genug zu fressen. Aber bisher hat es nicht geklappt. Darum lebe ich jetzt auf der Straße.

Einen Platz zum Schlafen zu finden ist schwierig. An manchen Orten ist es zu feucht, an anderen zugig. In den Notunterkünften ist es meistens sehr voll. Wenn man mal alleine sein will, ist das fast nicht möglich. Und wenn man gerne in Gesellschaft ist, sollte man trotzdem schauen, dass man den Leuten trauen kann.

Inzwischen kommen auch immer mehr Menschen in die Obdachlosenszene. Woche für Woche sieht man neue Gesichter. Das macht es nicht einfacher, Vertrauensverhältnisse und ein sicheres Umfeld aufzubauen. Dennoch möchte ich in Berlin bleiben. Hier geht es Menschen wie mir immer noch besser als unseren KollegInnen anderswo, wie ich gehört habe.

Viele Menschen sind freundlich, helfen uns und haben keine Angst, mit uns zu sprechen. Doch es gibt auch eine andere Seite. Manche Leute kommen nicht mit uns klar, meiden oder beschimpfen uns.

Was ich für Wünsche für die Zukunft habe? Tja, was soll sich eine Person auf der Straße wünschen? Arbeit, eine feste Unterkunft, vielleicht sogar eine eigene Wohnung. Das wären so meine Wünsche.

Protokoll Sophie-Isabel Gunderlach

Tobias A., 27, Informatik-student
: „Köln ist viel stärker verdichtet“

Foto: privat

Ich bin im Herbst 2016 nach Berlin gezogen. Hauptsächlich wegen meiner Freundin, die hier arbeitet.

Ich habe Anfang 2016 in Bonn meinen Master in Mathe gemacht und bin dann gereist, bin einen Monat durch Schweden geradelt. Ich habe mich auch nach Jobs umgeschaut, aber nichts Passendes gefunden. Es war blöd in Bonn rumzuhängen, das ist eine spießige kleine Version von Köln. Fast alle meine Freunde sind nach dem Studium weggegangen, meine Freundin lebte in Berlin. Also hab ich vor einem Jahr auch meine Kisten gepackt.

Ich bin einfach in ihre Einzimmerwohnung in Schöneberg mit eingezogen. Die ist nur 30 Quadratmeter groß, aber kostet auch nur alles in allem 400 Euro. So sparen wir beide Geld. Es gibt eine Etage für das Bett, damit man den Raum besser nutzen kann.

Wir überlegen immer mal wieder, ob wir nicht doch eine größere Wohnung suchen, und verwerfen das dann. Meine Freundin hat echt lange gebraucht, um ihre Wohnung zu finden. Das macht in Berlin einfach keinen Spaß, ständig diese Massenbesichtigungen. Außerdem gefällt uns Schöneberg total gut.

Dass Berlin voll ist, finde ich ansonsten nicht unbedingt. Sicher gibt es Orte, wo fast immer viel los ist, zum Beispiel am Potsdamer Platz. Trotzdem empfinde ich Berlin nicht als eng. Köln zum Beispiel ist viel stärker verdichtet.

Protokoll Antje Lang-Lendorff

Hassan Ghalwan, 27, Zahnarzt
: „Ich habe mir Berlin nicht ausgesucht“

Foto: privat

Ich komme aus Syrien und habe dort Zahnmedizin studiert. Eine typische Fluchtgeschichte kann ich aber nicht erzählen, ich bin mit einem Visum nach Deutschland gekommen und habe hier einen Asylantrag gestellt. Zunächst habe ich bei meinem Bruder in Erlangen gewohnt, die Ausländerbehörde hat mich nach dem positiven Bescheid meines Antrags im Winter 2015 nach Berlin geschickt.

Ich habe mir diese Stadt also nicht ausgesucht, aber ich mag sie sehr. Die vielen Kulturen, die hier zusammenleben, die arabischen Restaurants und Lebensmittelmärkte machen es mir einfach – das hat mein Bruder nicht. „Kommst du zurück nach Erlangen?“, hat er gefragt. „Komm du nach Berlin!“, habe ich gesagt. In Erlangen ist doch nichts los.

Ich arbeite in einer Zahnarztpraxis in Schöneberg, mein Chef ist auch Syrer. Auch unsere Patienten sprechen meistens arabisch. Ich bin sehr froh über diese Stelle – auch wenn ich so natürlich in meinem Alltag ziemlich wenig mit Deutschen in Kontakt komme. Ich hoffe, das ändert sich noch, schließlich will ich die nächsten 40, 50 Jahre hier bleiben. Aber ich weiß, dass ich Glück hatte. Ich bin bei Facebook in der Gruppe arabische Zahnärzte in Berlin, da scheitern viele an irgendwelchen Auflagen der Behörden.

Ich kenne auch einige, die noch im Flüchtlingsheim wohnen. Wenn man kaum Deutsch spricht und keinen Job hat, ist die Wohnungssuche in Berlin sehr schwer. Ich versuche ihnen zu helfen, aber meist ohne Erfolg. Ich selbst wohne in einer 2,5-Zimmer-Wohnung in Tempelhof und zahle 598 Euro Miete. Das finde ich in Ordnung.

Hassan Ghalwan wollte kein Foto.Protokoll Anna Klöpper

Sören Pellmann, 40, Politiker
: „Zweitwohnung zu teuer“

Ich bin als Direktkandidat in den Bundestag gewählt worden, in dieser Woche war die erste Sitzung. In Zukunft werde ich sehr oft in Berlin sein. Als Direktkandidat bleibe ich aber auch meinem Wahlkreis in Leipzig verbunden. Außerdem lebt dort meine Familie. Das wird am Ende auf halb Berlin und halb Leipzig hinauslaufen. Ich habe kurz über eine Zweitwohnung nachgedacht, es gibt da über den Bundestag so ein schwarzes Brett. Aber ehrlich: 1.000 Euro für 30 Quadratmeter mit Dusche und Küche – das ist deutlich zu viel.

Nun habe ich ja den Vorteil, dass ich nur eine gute Stunde entfernt wohne. Ich werde also pendeln. Und wenn ich mal übers Wochenende bleibe, dann übernachte ich bei Freunden. Das ist nicht so schlecht: Im Zug kann ich zwar nicht telefonieren, aber E-Mails lesen und beantworten, das ist gut genutzte Zeit. Man hat mir berichtet, die Züge seien überbelegt, aber bis jetzt hatte ich Glück.

Besonders voll kommt mir Berlin nicht vor, es ist halt eine Großstadt und ich komme ja selbst aus einer Großstadt. Okay, Berlin ist noch ein ganzes Stück größer. Und vor allem internationaler. Aber das ist etwas, das ich genieße.

Pellmann ist einer der 709 Abgeordneten im neu gewählten Bundestag. Der Leipziger Linkenpolitiker gewann das einzige Direktmandat seiner Partei außerhalb Berlins und ist nun Teilzeit-Berliner.

Protokoll Manuela Heim