Tötungsmaschinen mit Hundeaugen

Mit einer Kriegsperformance dekonstruiert das Thermoboy-Kollektiv Männlichkeitsmythen. Und am Ende wollte unser Autor Soldatenjungs knuddeln

Warten auf die Schlacht: Das Künstlerkollektiv Thermoboy performt vor einer digitalen Eislandschaft Foto: Daniel Weigel/Thermoboy FK

Von Jens Fischer

Männer sind ganz schön gefährlich. Sie morden und vergewaltigen, verüben mit Abstand die meisten Verbrechen, führen Kriege und haben in der Menschheitsgeschichte eine Blutspur hinterlassen. Selbst in der derzeit weitgehend kriegsfreien westeuropäischen Zivilisation sterben Männer fünf Jahre früher als Frauen, begehen dreimal häufiger Selbstmord und müssen doppelt so viel Alkohol trinken.

Damit einhergehende Bilder, Mythen und Konstruktionen von Männlichkeit untersucht seit 2011 das Künstlerkollektiv Thermoboy FK – und will mit ihrer neuen Produktion „We must battle when enemy is in sight“ die alten Geschichten von starken Männern überschreiben oder wenigstens durchleuchten und erforschen.

Erstaunlicherweise stehen nun aber keine Krieger, sondern sechs Jungs auf der Bühne. Es sind nicht mal halbwüchsige Testosteron-Monster, sondern allesamt aufgeklärt pazifistisch wirkende Laiendarsteller, die ein Live-Experiment wagen: Sie melden sich freiwillig zum Kriegspielen. Wind heult aus den Lautsprechern, auf der Videoleinwand fröstelt eine Eiswüste symbolisch vor sich hin.

Das soldatisch uniformierte Sextett behauptet nun, bereit für den Kampf zu sein. Nur für welchen? Keiner weiß es. Alle warten fraglos. Schließlich sind wir ja beim Militär – einem exquisit entspannenden, hierarchischen System. Die Mitspieler müssen also gar nichts wissen, nur tun, was ihnen vom Vorgesetzten gesagt wird. Der tritt hier als geheimnisvoll verführerische Off-Stimme auf, dem sich die Jungs auch ganz privat anvertrauen – sie raunen in den Gesprächen den Begriff „Vater“.

Kuschelig wie Haustiere

Am deutlichsten ist die Unsicherheit: Die Jungs wollen Männer sein und sind zur Passivität verdammt. Das ist stressig: Nur schlafen, Wache halten und auf den Feind warten. Drängt doch die Lust zur Tat, die Blutspur ihrer Ahnen frisch zu halten. Wie seit zwei Millionen Jahren, in denen sich biologisch gesehen wenig verändert hat.

Gewalt machte beim Jagen Freude, weil sie mit Beute belohnt wurde. Die holen wir heute lieber an der Supermarktfleischtheke, aber der Spaß am Töten, die Faszination für Tötungsutensilien blieb. Die Jungs wollen „Action“, wie sie sagen: „Die Muskeln spielen lassen.“ Und bekommen immerhin eine Grundausbildung: hechelnd krabbeln, hechten, balgen. Sie tragen einen Schreiwettbewerb aus und machen Schießübungen als Killer-Pantomime zu Metal-Musik – Ballerspiel im Sandkasten. Bis ein spindeldürres Dröhnchen auf die Bühne fliegt und mit Chefstimme verkündet, sich sehr zu freuen, dass alle top in Form sind und allzeit bereit. Die Jungs strahlen.

Ja, früher war man allein, wütend und orientierungslos und hatte viel Scheiße gebaut. Nun aber spüre man Anerkennung, Ordnung, familiäre Gemeinschaft mit väterlichem Oberhaupt und habe keine Angst mehr. Klingt nach Parolen eines Neonazi-Jugendcamps. Dazu gehört Ausgrenzung. Da der äußere Feind nicht auftaucht, heißt es, „der Dünne“ müsse weg, der Außenseiter – der Schwache. So geht hier Evolution. Krieg ist immer ein Machtspiel, das dem Herrschaftswillen als Überlebensstrategie Rechnung trägt.

Aber die Thermoboys verharren nicht bei dieser Analyse: Am Ende schmilzt das Eis auf der Leinwand und die Soldatenjungs lächeln sanftäugig in Richtung Publikum – wie Haustiere, die gekuschelt werden wollen. Ja, wenn man ihnen genug Auslauf gibt und Raum zum Toben oder Theatersäle zum performativen Nachdenken, sind Männer gar nicht mehr so gefährlich. Sondern ganz niedlich.

27. und 28. Oktober im LOT, Braunschweig; 23. und 24. November in der Kulturfabrik Löseke, Hildesheim