Zahlen, bitte!

Hinter jeder Zahl steckt eine kleine Welt. Die Zahl hat in ihrem jeweiligen Kontext eine Geschichte, sie hat eine Ursache und eine Wirkung. Zahlen vermitteln Glaubwürdigkeit. In der Sphäre des Sozialen können sie aber nicht an jene apriorischen Wahrheiten heranreichen, wie man sie aus der Mathematik oder Physik kennt. In der Welt des Sports scheint es diese apriorischen Wahrheiten, vermittelt über Tabellen und Ergebnisse, Torquoten und Statistiken aller Art, aber noch zu geben.

Viele Fans versenken sich in die Zahlenkolonnen wie der Fundamentalist in sein Gebetbuch. Sie wissen mitunter sogar, wer am 32. Spieltag in der Bundesliga-Saison 1981/82 mit wie viel Punkten die Tabelle angeführt hat – der HSV (!) mit 4 vor Köln – und wie die Punktquote von Thomas Tuchel als Trainer von Borussia Dortmund (2,12; die beste aller BVB-Trainer) gewesen ist.

Besonders exzessiv wird der Religion der Zahlen im US-Sport gefrönt. Dort wird praktisch alles objektiviert. Es geht darum, den Sport transparent, den menschlichen Faktor berechenbar zu machen. Es geht auch um Durchdringung und Professionalisierung von Sportarten. Aber man muss nicht unbedingt wissen, wie ein T-Test in der Statistik funktioniert, um bestimmte Trends zu erkennen. Wenn heuer für Neymar 222 Millionen Euro hingeblättert worden sind und im Jahr 1984 für Diego Maradona nur 13 Millionen, dann ist klar, dass der Fußball maßlos geworden ist. Wenn der Deutsche Fußball-Bund im Jahr 2016 so gut wie gar keine Frauen in Spitzenpositionen hatte, dann wird deutlich, wie verkrustet die Strukturen dort noch immer sind. Und wenn in Schweden nur 10 Prozent der Bevölkerung nicht Sport treiben, in Bulgarien aber 78 Prozent, dann könnte das womöglich daran liegen, dass die Südosteuropäer körperlicher arbeiten oder einfach weniger Zeit und Geld für Zerstreuung haben. Das ist freilich nur eine Hypothese. Wie gesagt: Hinter einer Zahl verbirgt sich eine ganze Welt. Sie muss nur verstanden werden.

Markus Völker