der rote faden
: Such das Schwein. Das war das Spiel der Woche

Foto: Sebastian Wagner

Durch die Woche mit Nina Apin

Während es letzte Woche noch #MeToo hieß, konnte man sich diese Woche fragen: Wer nicht? Aus Hollywood kommen täglich neue einschlägige Enthüllungen, und im britischen Parlament rollen die Köpfe mittlerweile schneller, als Theresa May „Brexit“ sagen kann. Übrigens eine erstaunliche Parallele zu den Paradise Papers, die vom Ansatz her ebenso ehrenwert sind – aber leider auch erstaunlich niedrige Instinkte wecken: das tägliche „Mal schauen, wen es jetzt wieder erwischt hat“.

Paradise Papers

„Such das Schwein“ war also das Spiel der Woche – wobei öffentliche Empörung natürlich nicht nur billig ist, sondern auch ein wichtiges Druckmittel, um tatsächlich auf EU-Ebene über das Schließen von Steuerschlupflöchern debattieren zu müssen oder, wie im Fall Großbritanniens, eine parteiunabhängige Beschwerdestelle einzurichten, damit es kein Gesundheitsrisiko mehr darstellt, im britischen Parlament zu arbeiten.

Während in den Steueroasen noch immer alle Palmen intakt sein dürften, entfalteten die Enthüllungen rund um sexuelle Belästigung an der Themse eine unmittelbare Sprengkraft: Angefangen mit dem sogenannten Kneegate – einer vor 20 Jahren auf das Knie einer Journalistin gelegten Ministerhand –, das zum Rücktritt des Verteidigungsministers führte, wurden täglich immer größere Widerwärtigkeiten offenbar (K.-o.-Tropfen in Regierungsviertelbars, Vergewaltigungsvorwürfe an Minister), und schließlich brachte sich ein unter Belästigungsverdacht stehender Labour-Abgeordneter aus Wales um.

Ist das jetzt das erste Todesopfer einer Hashtag-Hatz? Oder hatte der Tod von Carl Sargeant überhaupt ganz andere Gründe? Wir wissen es genauso wenig, wie wir je wissen können, was in den diversen Fahrstühlen oder Filmgarderoben passiert ist, die derzeit die Newsspalten füllen. Lesen tut es aber jeder. Interessant war die Einlassung von Hannelore Elsner, die bestimmt auch die ein oder andere Ich-auch-Geschichte zu erzählen hätte. Stattdessen fragte sie aber, ob die ganze Empörung nicht ein wenig verlogen sei. Oder habe ernsthaft jemand geglaubt, in der Geschlechterhölle der Kulturproduktion gehe es hinter den Kulissen achtsam und demokratisch zu?

Kneegate

Guter Punkt. Am Dienstag war ich in der Schaubühne, um endlich auch mal den gefeierten Richard III. zu sehen. Da turnte ein großartig enthemmter Lars Eidinger durchs Publikum, in weiten Strecken in Unterhosen oder nackt, gnadenlos ausgeleuchtet bis auf die letzte kleine Falte im auch nicht mehr ganz jungen Schauspielerleib. Wohliges Schaudern des im Schnitt mittelalten Publikums inbegriffen. Wenigstens die Frauen durften ihre Röcke diesmal anbehalten, was für eine moderne deutsche Inszenierung nicht gerade selbstverständlich ist. Im Foyer wurde anschließend aber nicht darüber diskutiert, sondern über die Bekanntmachung der Schaubühne, kurzfristig auf die geplante Teilnahme mit ihrem Richard III. am Istanbuler Theaterfestival zu verzichten: Man könne für die Sicherheit der Darsteller nicht garantieren. Erdoğan hätte die Inszenierung auch sicher missfallen: Nackte Männer, die das Wesen diktatorischer Verhältnisse bloßstellen – es sollen in Istanbul Deutsche schon für Geringeres ins Gefängnis gesteckt worden sein.

In Göttingen hängten sie derweil Bilder in der Zentralmensa ab. Die Ausstellung mit Namen „Geschmackssache“ traf der Vorwurf, sexistisch und antisemitisch zu sein: Nackte Busen, versehen mit dem Titel „Höhepunkte“, ein Albert Einstein mit rosa Schweineohren – dass es sich nach Auskunft der Ausstellungsmacher um Satire handelte, half nichts. Das erinnert an den Vorfall an der Berliner Alice Salomon Fachhochschule, wo Studierende fordern, ein Gedicht von der Fassade zu entfernen. Das Anstößige hier: Darin werden Frauen mit Blumen verglichen, die das Auge eines Bewunderers erfreuen.

Richard III.

Kann man lächerlich finden, weil überempfindlich. Oder ganz schlimm kulturbanausig, weil: Sittenwächtertum, wie etwa Harald Martenstein letzthin im Zeit Magazin. Wo Kunst doch ihren ganz eigenen Gesetzen gehorcht und deshalb alles dürfen können sollte. Man könne auch sagen: Endlich redet und streitet man wieder über Kunst und ihre Funktion in der Gesellschaft. Etwa darüber, ob der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine Ausstellung veranstalten darf, in der das Tun afrikanischer Drogendealer als „unerschrocken und tapfer“ gepriesen wird.

Sittenwächter

Nur die taz, an deren Fassade seit Jahren ein überlanger erigierter Penis prangt, scheint von diesen Diskussionen merkwürdig unangekränkelt. Wobei – vielleicht auch nicht: Diese Woche präsentierte die Geschäftsführung ein paar Street-Art-Künstler, die die Brandwand des neuen taz-Hauses gestalten sollen. Dass die jungen Leute statt wilder Entwürfe geometrische Muster vorstellten, die zwar apart, aber kreuzbrav und absolut inhaltslos waren–, wen wundert’s?

Nächste Woche Johanna Roth