Kolumne Minority Report: Belanglose Perspektiven

Subjektive Positionen sind nur relevant, wenn sie von weißen Männern formuliert sind. Das zeigen Leserbriefe und die #MeToo-Debatte.

Eine Frau mit Sonnenbrille hält ein Schild mit der Aufschrift "Fight Sexism".

Schön bunt: So sieht Holland aus. Und wie sieht ein Holländer aus? Natürlich weiß! Foto: Imago/Westend61

Letzte Woche war ich in Holland. Dort kam ich mit M. ins Gespräch, dem ich von einem witzigen Besuch im Coffeeshop erzählte. M. fragte mich: „War der Verkäufer Holländer?“ Ich sagte, ich wüsste es nicht. „Sah er wie ein Holländer aus?“ Ich musste schmunzeln und fragte ihn, wie denn ein Holländer aussähe. Er sagte trocken: „Na, so wie ich.“ Ich musterte ihn. M. hat blonde Locken und eine Augenbrauenform, die mich an traurige Vögel erinnert. Und: M. ist weiß.

Seit ziemlich genau einem Jahr schreibe ich diese Kolumne. Seitdem bekomme ich so viele entnervte Leserbriefe wie nie zuvor. „Belanglosigkeit“ wird mir sehr häufig vorgeworfen. Dabei geht es nicht um meine Themenwahl, schließlich sind Sexismus und Rassismus nicht gerade die minoritärsten Themen. Es geht vielmehr um die Perspektive. Leute nehmen sich Zeit, mir mehrere Absätze zu schreiben, wie desinteressiert sie an meinen Ich-Erzählungen seien. Meist lassen die Briefe erkennen, dass sie meine Kolumne sehr aufmerksam lesen. Subjektive Positionen, das habe ich inzwischen gelernt, sind immer nur dann relevant, wenn sie von Männern formuliert werden. Von weißen Männern.

Insofern ist es nicht sonderlich überraschend, dass M. sich für den Prototyp einer gesamten Nationalität hält. Ganz egal, was er in der Schule über die Kolonialgeschichte der Niederlande gelernt hat – er wird in seiner Annahme, die „Norm“ zu verkörpern, immer wieder bestätigt. Wie könnte er anderes denken? Ich habe eben nicht erwähnt, dass neben M. eine junge Holländerin saß, die spanischsprachige Literatur übersetzte. Sie hat exakt im selben Moment gesagt: „So wie er.“ Und dann haben beide gelacht. Nicht weil sie eine ironische Bemerkung machten. Sondern weil sie zeitgleich das Offensichtliche ausgesprochen hatten. Situationskomik. Haha.

MeToo als „fiebrige Dramatisierung“

Auch Zeit-Autor Adam Soboczynski kreist um den eigenen Nabel, wenn er in einem Text die #MeToo-Debatte als „fiebrige Dramatisierung“ abwertet. Laut Soboczynski nutzen alle Frauen, die ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt schildern, die Gelegenheit, bloß ein paar „Alltagsrechnungen“ zu begleichen. Mal abgesehen davon, dass mit dem Fall Kevin Spacey auch männliche Betroffene in den Fokus geraten sind, was den Autor offensichtlich nicht interessiert.

Wie kommt eine Person auf die Idee, dass alltägliche Belästigungen und Übergriffe Nichtigkeiten seien, die nicht der Rede wert sind? Eben, weil diese Person nicht tagtäglich von diesem Verhalten betroffen ist. Am Ende von Soboczynskis polemischem Text bleibt nur noch eins hängen: Wer (noch) nicht vergewaltigt wurde, soll besser die Klappe halten und nicht über Sexismus klagen. Es bleibt zu hoffen, dass genügend Leser*innen erkennen: Diese Position ist einfach nur belanglos.

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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