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: Für 23 EU-Mitgliedsstaaten wird Aufrüstung zur Pflicht

Außen- und Verteidigungsminister verpflichten sich zu gemeinsamen Rüstungsprojekten, zum Aufbau europäischer Militäreinheiten und immer mehr Verteidigungsausgaben

Das Neue

Die Europäische Union legt ihre jahrzehntelang geübte (und bewährte) Zurückhaltung in der Militär- und Rüstungspolitik ab. Die Außen- und Verteidigungsminister von 23 der insgesamt 28 EU-Staaten – darunter Deutschland – unterzeichneten am Montag in Brüssel einen historischen Grundsatzbeschluss, um gemeinsame Rüstungsprojekte zu starten und europäische Militäreinheiten aufzubauen.

Im Gegensatz zu früheren Initia­tiven haben sich die Teilnehmer diesmal nicht nur unverbindlich zu mehr Kooperation bekannt. Im Rahmen der neuen „ständigen strukturierten Zusammenarbeit“ (englisch: Pesco) verpflichten sich die Unterzeichner vielmehr, 20 Bedingungen zu erfüllen, darunter regelmäßig steigende Verteidigungsausgaben. Aufrüstung wird so zur Pflicht.

Der Kontext

Frankreich drängt Deutschland und die EU schon seit Jahren zu verstärktem militärischem Engagement, vor allem in Afrika. Nach den Pariser Terroranschlägen von November 2015 erklärte sich Berlin zu engerer Kooperation bereit. Doch ohne den britischen EU-Austritt und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wäre es wohl nie zu der nun beschlossenen Rüstungsoffensive gekommen, denn bisher standen die Briten auf der Bremse.

Doch damit kommen sie seit dem Brexit nicht mehr durch. Gleichzeitig drängt Trump die Europäer zu mehr Engagement. Das Gefühl der Bedrohung durch Russland und die Migrationskrise haben beigetragen, letzte Widerstände zu überwinden – auch wenn niemand genau sagen kann, gegen wen oder was sich die EU eigentlich verteidigen muss.

Die Reaktionen

Sie fielen euphorisch aus – jedenfalls in der geschäftsführenden Bundesregierung. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach von einem „Meilenstein in der euro­päischen Entwicklung“, der zu Einsparungen bei Rüstungsprojekten führen könne. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) feierte einen Schritt „in Richtung der Armee der Europäer“.

Von einer „Täuschung“ sprach ­dagegen der französische Verteidigungsexperte Frédéric Mauro, der regelmäßig das EU-Parlament berät. Viele der nun groß angekündigten Vorhaben hätten nach Ansicht von Mauro auch ohne die Pesco auf den Weg gebracht werden können. Von einer autonom, also von der Nato unabhängig agierenden „EU-Armee“ sei man noch „Lichtjahre entfernt“.

Die Konsequenz

Zunächst keine. Erst im Dezember wollen die 23 Pesco-Staaten entscheiden, welche Projekte sie im Rahmen der Initiative in Angriff nehmen. Bisher haben 15 Mitglieder 47 Vorschläge gemacht. Deutschland wünscht sich etwa ein medizinisches Einsatzkommando, ein Netz von Logistikdrehkreuzen und eine gemeinsame Offiziersausbildung.

Selbst wenn nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen, dürfte die Bundesrepublik als größtes EU-Land künftig eine größere Rolle in der Verteidigungspolitik spielen – gemeinsam mit Frankreich, das seine Auslands­einsätze längst nicht mehr allein stemmen kann. Eric Bonse