berliner szenen
: Fast alle hatten einen Platten

Am Sonntag trotzte ich dem nasskalten Wetter und fuhr mit dem Fahrrad zum Literaturwettbewerb „Open Mike“. Ich stellte mein Fahrrad in einer Seitenstraße ab und hastete zum Heimathafen Neukölln. Ich war mir ganz sicher, dass mir jemand auf der dazugehörigen Literaturparty in der Nacht davor gesagt hatte, dass es um 14 Uhr losgeht. So stand ich also um kurz nach 14 Uhr im großen Saal, der komplett leer war. Ich lief wieder raus und nahm mir einen Programmflyer. Da stand: Sonntag – Beginn 11 Uhr, ab 14 Uhr Pause, 15.30 Uhr Preisverleihung.

Wäre ich, hätte ich, ach egal, sagte ich mir und setzte mich mit der Wochenendausgabe der taz, die dort auslag, auf die Tribüne, um mir die Zeit mit Zeilen zu vertreiben. Nachdem ich das Interview mit Deniz Yücel gelesen hatte, schien mir mein Warten total banal.

Als ich den Heimathafen nach der Preisverleihung wieder verließ, dämmerte es draußen schon. Ich lief zu meinem Fahrrad und freute mich, schnell nach Hause flitzen zu können. Doch beim Aufsperren merkte ich, dass mit dem Vorderreifen etwas nicht stimmte. Ja, mein Fahrrad hatte einen Platten, aber nicht nur meins. Fast alle Fahrräder hatten einen Platten, und alle Fährräder mit Platten hatten den Platten im Vorder­reifen. Wütend schob ich mein Fahrrad die Straße entlang, bis ich auf einen Polizisten stieß. Ich zeigte auf den Reifen und meinte zu ihm, dass fast alle Fahrräder in der Straße so aussehen würden. Der Polizist sagte darauf: „Sie können eine Anzeige wegen Sachbe­schä­digung erstatten, dann bekommen Sie in ein paar Wochen eine Benach­richtigung, dass das Verfahren eingestellt wurde.“ Entnervt schaute ich den Polizisten an, der dann wiederum meinte: „Hier in der Straße gibt es einen Fahrradladen, der mit un­platt­baren Reifen wirbt. Kundschaft hätte er ja jetzt.“ Eva Müller-Foell