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Brüssel kämpft gegen den Zigarettenschmuggel. Berlin irgendwie auch – aber lieber gemeinsam mit der Tabakindustrie

Tabak­schmuggel ist ein lukratives Geschäft: beschlagnahmte Ware Foto: Jordis Antonia Schlösser/Ostkreuz

Aus Straßburg Robert Schmidt

Steuerbanderolen auf Zigarettenschachteln könnten bald ausgedient haben. Das ist deshalb interessant, weil Brüssel ein härteres Vorgehen im Kampf gegen den Schwarzmarkt angekündigt hat und derzeit über die letzten technischen Details eines Kon­trollmechanismus für Tabakwaren berät. Und bislang gelten die klassischen Banderolen als wichtigster Herkunftsnachweis für Zigaretten. Schon an diesem Mittwoch könnte der Ministerrat zu einem abschließenden Ergebnis kommen.

Der Kontrollmechanismus soll als Teil der neuen Tabakrichtlinie ab Mai 2019 in der gesamten EU angewendet werden und den illegalen Handel eindämmen. Dieser kostet die Mitgliedstaaten laut der EU-Kommission Jahr für Jahr 10 Milliarden Euro Steuereinnahmen.

Unabhängige Experten fürchten, dass sich ein von den vier weltgrößten Tabakkonzernen entwickeltes Kontrollsystem mit Namen Codentify durchsetzt. Schützenhilfe dafür könnte ein bisher unbeachtetes deutsches Pilotprojekt leisten.

Träger ist die Bundesdruckerei. Als „Partner“ nennt sie in einer der taz vorliegenden Broschüre mit dem Titel „Sendung und Rückverfolgung und Sicherheitsmerkmal“ die Tabakindustrie. Statt der Steuermarke, so heißt es in dem Heft, setze man „aufgrund der Bedürfnisse der Industrie“ auf sogenannte UID-Codes, die durch die ISO-Industrienorm definiert sind. Diese Codes drucken die Tabakkonzerne in vielen Ländern selbst in Kleinschrift auf die Verpackungen. Dem deutschen Konzept zufolge könnte die Bundesdruckerei diese Nummern künftig in einer Datenbank verwalten. Kontrollieren und die Einhaltung der neuen EU-Tabakrichtlinie gewährleisten soll das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Seit vergangener Woche werben BMEL-Vertreter nun im Brüsseler Rat für dieses Konzept. Unterstützt werden sie dabei vor allem von Österreich und osteuropäischen Ländern wie Ungarn und Polen.

Tabakexperten wundern sich über die Idee. Sie halten die UID-Codes für nicht fälschungssicher und wenig geeignet, den gesamten Transportweg von Tabakwaren zu überblicken. Die Bundesdruckerei und das BMEL bestätigten auf Anfrage zwar, dass es das Pilotprojekt gibt. Sie wollten sich aber weder zu den laufenden Verhandlungen noch zu einer möglichen EU-weiten Ausweitung des Modells äußern.

Auch die Tabakkonzerne Philip Morris, Japan Tobacco, British American Tobacco, Imperial Tobacco wollten keinen Kommentar zum laufenden Verfahren abgeben. In der Vergangenheit haben sich die Firmen klar vom Tabakschmuggel distanziert. Von Philip Morris etwa heißt es dazu: „Illegaler Handel schadet unserem Geschäft und unseren Einnahmen.“ Und: „Wir investieren stark in strenge Kontrollen unserer Lieferkette.“ Die EU-Antischmuggel-Regelungen seien eine „gute Gelegenheit für Regierungen und die Industrie, effektive, dauerhafte Lösungen im Kampf gegen das komplexe Thema Tabakschmuggel zu schaffen“. In Stellungnahmen an die EU plädierten die Tabakfirmen allesamt dafür, die UID-Codes, also die selbst vergebenen Nummern, aufdrucken zu dürfen. Wenn Zahlencodes von außen zur Verfügung gestellt würden, erschwere das die Produktionsprozesse und sei deshalb „nicht zu akzeptieren“.

Luk Joossens, Brüsseler Experte für illegalen Tabakhandel, spricht von einem „schäbigen Manöver“ mehrerer im Tabakanbau und der Zigarettenherstellung sehr aktiver Länder und der Industrie. Auch die in Brüssel ansässige Antitabak-Initiative Smoke Free Partnership, die die taz auf das deutsche Projekt aufmerksam gemacht hat, kritisiert den deutschen Vorstoß. Ebenso Vinayak Mohan Prasad, Leiter des Antitabak-Programms der Weltgesundheitsorganisation WHO. „In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren waren alle großen Zigarettenfirmen am Schmuggel beteiligt“, sagt er. Sie hätten auch durchaus ein Interesse daran: Verschwinden die Zigaretten auf dem Schwarzmarkt, müssten die Konzerne weniger Steuern zahlen und könnten zudem noch klamme Jugendliche ansprechen.

Auch das Betreiben eines entsprechenden Rückverfolgungssystems ist schon mit finanziellen Interessen verbunden. Seit Jahren tobt in Brüssel ein Lobbykampf zwischen Anbietern unabhängiger Kontrollsysteme wie dem Schweizer Konzern SICPA und der als besser vernetzt geltenden Tabakindustrie.

Dass ausgerechnet die Deutschen so eng mit den Zigarettenfirmen kooperieren, erstaunt. Im Oktober hat die Bundesrepublik als 33. Land das WHO-Abkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs unterzeichnet. Und dessen Artikel 8.12 ist eindeutig: „Die Verpflichtungen der Vertragsparteien dürfen nicht von der Tabakindustrie erfüllt werden, es darf auch nicht an sie delegiert werden.“

Das Misstrauen gegen die Tabakindustrie hat Gründe. So gilt es als erwiesen, dass die Tabakmultis in den 1990er Jahren Tausende Lkws mit Originalware über die Balkanroute in die EU schleusen ließen. Schmuggler, Mittelsmänner und Unternehmen steckten sich in dieser Zeit mehrere Milliarden Mark in die eigene Tasche, die beim Fiskus hätten landen sollen. Anfang der 2000er Jahre flog diese sogenannte Montenegro Connection auf. Nach einem erfolglosen Rechtsstreit einigten sich einige EU-Staaten, darunter Deutschland, wenig später mit den vier größten Tabakkonzernen. Diese verpflichteten sich, ihre Ware besser zu schützen und insgesamt 2 Milliarden US-Dollar an die EU-Kommission zu zahlen.

Jahr für Jahr fließen so Gelder von der Tabakindustrie über Brüssel in die Kassen der teilnehmenden EU-Staaten. Einen kleineren Teil nutzt die Kommission zum Kampf gegen den Zigarettenschwarzmarkt.

Ein „schäbiges Manöver“ von Ländern und Industrie

Luk Joossens, Brüssel

Wie erfolgreich sie damit bisher ist, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Während die zuständige EU-Antibetrugsbehörde OLAF auf ihrer Webseite zunächst schreibt, es sei „schwierig, den Zigarettenschwarzmarkt genau zu überblicken“, liest man in ihrem jüngsten Jahresbericht erstaunlich präzise Zahlen zu den vermeintlichen Erfolgen der Tabakkonzerne. Demnach gehe aus einer Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen von 2016 hervor, dass der „Schmuggel von echten Philip-Morris-Produkten auf dem illegalen Tabakmarkt der EU zwischen 2006 und 2014 um etwa 85 Prozent zurückgegangen“ sei.

Experten wie die britische Professorin Anna Gilmore, die seit Jahren zum Thema Tabakkontrolle forscht, vertrauen diesen Zahlen nicht. Gilmore verweist auf gezielte Überproduktionen der Konzerne .

Bei der WHO in Genf hofft man nun auf ein deutliches Zeichen aus Brüssel. „Der Entscheidung der EU kommt eine wichtige Signalwirkung zu“, erklärt der Leiter des WHO-Antitabak-Programms Prasad. Eine „klare Positionierung gegen jegliche Beteiligung der Industrie“ sei wichtig für das noch junge Programm, das voraussichtlich kommenden Sommer in Kraft treten soll.

Wenn es an diesem Mittwoch zur Sache geht, können Verfechter eines industrieunabhängigen Systems nicht nur wegen des Pilotprojekts kaum auf Deutschland bauen. Anders als in vielen anderen EU-Ländern wurde das Gesundheitsministerium nicht an den Verhandlungen beteiligt. Aus der dortigen Fachabteilung heißt es, man sollte bei der Schmuggel­kontrolle die Mitwirkung der Zigarettenfirmen „auf das notwendige Minimum beschränken, wenn nicht sogar ganz lassen“.

Die langjährige WHO-Generaldirektorin Margaret Chan formulierte es drastischer: „Die Tabakindustrie an den Verhandlungstisch zu holen ist in etwa, als stellt man einen Fuchs ein, damit er über die Hühner wacht.“