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: Eindeutige Uneindeutigkeit

Das IOC muss entscheiden, ob Russland zu Olympia darf. Warum das nicht gutgehen kann

In der DDR war die Sache klar. Dank deutscher Gründlichkeit hatten die Historiker nach dem Mauerfall keine Probleme, im Sportsystem der DDR Staatsdoping zu erkennen. Es gab das „Staatsplanthema 14.25“, ein allgemein gültiges Vademecum, nach dem gut 12.000 Sportler gedopt worden sind. In der DDR wurde der Medikamentenmissbrauch von oben organisiert, und er reichte bis ganz unten. Man sprach von systematischem Betrug. In der Bundesrepublik gab es hingegen mehrere Dopingnester und eine Unkultur der Duldung, weswegen man sich auf die Sprachregelung vom „systemischen“ Betrug einigte. Das sollte heißen: Ganz so schlimm wie die da drüben haben wir es in der BRD nicht getrieben – selbst wenn die Behandlungsmethoden an der Uni Freiburg doch sehr stark an die Machenschaften des Sportmedizinischen Dienstes der DDR erinnerten.

Und nun? Wie ist das Doping in Russland zu bewerten? Ist es systemisch, systematisch, gar ein ganz klares Staatsdoping? Diese Frage ist essenziell, denn sie entscheidet über die Teilnahme der Russen an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang. Wenn es einen staatlich ausgeheckten Plan zum großen Beschiss gegeben hat, dann kann es nur eine vernünftige Sanktion geben: Russlands Athleten müssen zuschauen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat eigens eine Kommission eingesetzt, um das zu klären. Die wird vom ehemaligen Schweizer Bundesrichter Samuel Schmid geleitet, und es geht ums Eingemachte: „Diese Kommission beschäftigt sich mit der Systemfrage“, heißt es vonseiten des IOC.

Alle Erkenntnisse, die von Whistleblowern oder über Leaks nach außen gedrungen sind, legen nahe, dass es in Russland erhebliche Manipulationen gegeben hat, Tricksereien, die nicht an der Basis des russischen Sports ersonnen wurden, sondern anderswo, im russischen Sportministerium oder auch bei den Geheimdiensten. Der erste große Enthüllungsbericht, der McLaren-Report der internationalen Anti-Doping-Agentur Wada, zeichnet ein Bild staatlicher Steuerung, so wie man es auch aus dem DDR-Sportsystem kennt: Dopinglabore sind in diesen Systemen nicht dazu da, Sportler zu überführen, sondern die Leistungsmanipulation mit erheblichem Aufwand zu vertuschen. Wer darin den Beweis für Staatsdoping sehen wollte, machte sich für Kollektivstrafen stark. Die Kollektivstrafe nimmt allerdings alle in Geiselhaft, Schuldige, aber auch vermeintlich unschuldige Sportler.

Darf das sein? Die Antwort der Russen ist klar: Das gehe gar nicht. Hier werde der Kalte Krieg wiederbelebt. Russische Politiker erkennen im IOC „eine Art Nato“. Ein russisches Gegengutachten kommt zum Schluss: Hier gibt es kein Staatsdoping. Aber auch das IOC hat erkannt, dass es nicht pauschal urteilen darf. Bereits im McLaren-Report steht, der Bericht habe „keine Autorität, Dopingverstöße gegen individuelle Athleten vorzubringen“. Dieses Pro­blem soll nun eine zweite IOC-Kommission lösen, die Denis-Oswald-Kommission. Sie soll Schuld individualisieren. Etliche russische Wintersportler wurden nun schon lebenslang gesperrt. Aber die Beweisführung ist schwierig. Das IOC laviert also herum, setzt Kommissionen ein und weiß nicht so recht, ob es nun kollektiv oder individuell strafen soll – oder beides. Das führt zu absurden Situationen, wie der, dass vom IOC lebenslang gesperrte Langläufer bei Weltcups an den Start gehen. Es bleibt der Eindruck, dass es schlichtweg Ansichtssache ist, ob das russische Doping die Labels „systemisch“, „systematisch“ oder „staatlich gelenkt“ aufgepappt bekommt. Das IOC steckt in der Zwickmühle, weil es mit einer eindeutigen Uneindeutigkeit umgehen muss. Im Dezember steht eine Entscheidung an. Sie kann eigentlich nur falsch sein. Markus Völker