Richard Fords Buch „Zwischen ihnen“: Das Glück zweier einfacher Leute

Der Schriftsteller Richard Ford schreibt über seine Eltern. Die beiden Protagonisten verkörpern etwas, das man selten antrifft: Zufriedenheit.

Schwarz-Weiß-Bild zweier Menschen, die ihr Kind im Arm halten

Richard Ford als Kind zwischen seinen Eltern Foto: Archiv Richard Ford

Man kann sie ganz einfach im Internet finden: diese alte Schwarz-Weiß-Fotografie von einem vielleicht dreijährigen Richard Ford samt Eltern, die man lange, sehr lange anschauen mag, wenn man gerade das neue Buch dieses vielleicht tollsten amerikanischen Autors der Gegenwart über seine Eltern mit dem schönen Titel „Zwischen ihnen“ gelesen hat. Anders als das Bild auf dem Buchcover, wo die Eltern eher ein bisschen misstrauisch in die Sonne blinzeln, lächeln die beiden auf diesem Bild sehr verschmitzt.

Sie strahlen so, dass man all das in ihnen sieht, was Ford in seinem Buch beschreibt: das Glück, einfach zusammen, sich selbst genug zu sein, die Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Das Glück einer erfüllten Gegenwart, ohne Wenn und Aber. Ein Glück auch, das man nicht oft in Büchern beschrieben findet – irgendwie scheint es seit Tolstois berühmtem Satz eine stillschweigende Vereinbarung zu geben, dass nur dysfunktionale Familien es wert sind, literarisch beschrieben zu werden.

Richard Fords Eltern hießen Parker Carrol und Edna Ford, sie lernten sich in den zwanziger Jahren in einem Lebensmittelladen in Hot Springs im amerikanischen Bundesstaat Arkansas kennen. Sie war 17, er 24, beide kamen aus schwierigen Familien und wollten nun alles anders machen. Nicht viel später wurde er der Handlungsreisende für einen Hersteller von Wäschestärke, der er bis zu seinem frühen Tod 1960 blieb, und die beiden reisten 15 Jahre lang gemeinsam durch Amerikas Süden, waren „auf Tour, ohne große Sorgen“.

Sie lebten in billigen Hotels, liebten das „Lachen und Tanzen und Trinken“ im French Quarter in New Orleans, lernten Leute kennen. Als sie schließlich doch noch schwanger wurde, wurde Edna gern sesshaft. Und der kleine Richard bekam einen meist sehr fröhlichen, wenn auch ein wenig zu dicken und, wie sich später heraus stellte, herzkranken Teilzeitvater, dem man nur von den Sorgen unter der Woche erzählte, wenn etwas wirklich Schlimmes passiert war. Jedes Mal, wenn er nach Hause kam, fühlte sich das für alle an wie ein kleines Fest, so dass Richard Ford auch gleich in der Eingangsszene seines Buches eine ­dieser ­väterlichen ­Ankünfte beschreibt, der Vater „freudig erregt darüber, zu Hause zu sein“, die Mutter „erleichtert, dass er wieder da ist, beschwingt und glücklich“.

Ein Lächeln dreimal beschreiben

Das Glück zweier einfacher Leute, die einander liebten wie auch ihr einziges Kind: Wie kann man als Leser etwas so Simples dermaßen faszinierend finden?

Die Antwort ist die: Ford würde diese Leute nie „einfach“ nennen. Dieser Autor nimmt alle seine Figuren ernst, ganz egal ob sie nun fiktional sind oder nicht. Und deshalb ist das Buch nicht nur eines über das Rätsel der Liebe und des Glücklichseins, das manche ganz unabhängig von ihrem Startkapital, späteren Schicksalsschlägen und solchen Dingen besser hinzubekommen scheinen als andere, sondern auch eines über Respekt, über vorsichtiges Forschen und – ja, auch über Ehrlichkeit.

Richard Ford: „Zwischen ihnen“. Aus dem Englischen von Frank Heribert. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2017, 144 Seiten, 18 Euro

Anstatt Erinnerungslücken mit Erklärungen, Erfindungen oder gar dramatischen Enthüllungen zu verkleistern, kreist Ford sachte tastend um seine Eltern, wozu auch gehört, dass er sein Buch in zwei Teilen geschrieben hat: das erste über den Vater erst vor Kurzem, das zweite über die Mutter schon kurz nach ihrem Tod 1981.

Manchmal beschreibt Ford ein Lächeln dreimal auf zwei Seiten, um es so genau wie möglich zu bekommen – immer wieder zeigt er auch offen auf Risse und dunkle Stellen, indem er eingesteht: „Vom früheren Leben meiner Mutter weiß ich nicht viel.“ Oder: „Wofür sie sich als junges Mädchen begeisterte, was sie dachte oder hoffte, hat sie mir nie erzählt.“ Oder auch: „Die Daten sind kein bisschen klarer als die Gründe.“

Foto für die eigene Küchenwand

Richard Ford hat ein Buch über die Suche nach objektiver, selbstloser Wahrheit geschrieben. Und das ausgerechnet mithilfe eines Sujets, bei dem diese Suche nie ganz erfolgreich ausgehen kann – sind doch die Eltern, wie Ford auch zugibt, immer die Nächsten, die man vielleicht gerade noch so vor die Linse bekommt, aber nie richtig scharf stellen kann, die man nie ganz und gar objektiv zu erfassen schafft.

In Fords Nachwort heißt es: „Habe ich gehofft, meinen Eltern etwas Nachhaltiges zu verleihen? Eine größere Bedeutsamkeit, als der erste Blick nahelegt? In den Händen eines anderen Sohnes könnte ein Memoir genau das leisten – den Versuch, eine zusätzliche ‚Dimension‘ sichtbar zu machen, die zuvor nicht offensichtlich war. Ich hingegen habe das Gegenteil versucht.“ Er schreibt auch, dass er inspiriert wurde von einem Gedicht von W. H. Auden über das Gemälde „Der Fall des Ikarus“ von Pieter Bruegel dem Älteren, „auf dem man sieht, wie sich Ikarus nach seinem Absturz im Meer abstrampelt – und die Bauern, die unweit an Land ihre Felder pflügen, bemerken sein Schicksal gar nicht“. Richard Ford hat seinen oberflächlich wenig bemerkenswerten Eltern ein sehr bemerkenswertes Denkmal gesetzt, eben weil er sie überhaupt nicht überhöht.

Und damit ist ihm mit diesem bescheiden daherkommenden Bändchen ein derart ambitioniertes, großes literarisches Kunststück gelungen, ein so berührender posthumer Liebesbeweis, dass man nach der Lektüre dieses Buchs lang kein neues mehr in die Hand nehmen mag. Man hätte direkt Lust, das hier abgedruckte Schwarz-Weiß-Foto ganz unauffällig zwischen die eigenen Fami-lienfotos an die Küchenwand zu hängen.

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