„Wir sind alle Zeitarbeiter“

Heute beginnt im HKW der Berliner Brachentreff Literatur. Teilnehmerin Katharina Deloglu vom Literaturhaus Lettrétage erklärt, worum es geht

Der 2. Berliner Branchentreff unter dem Motto „Zusammen arbeiten“ beginnt heute im Haus der Kulturen der Welt in der John-Foster-Dulles-Allee und dauert bis zum Sonntag, 19. November.

Der Workshop von Katharina Deloglu findet am Samstag von 10 bis 13 Uhr statt. Alle Veranstaltungen sind kostenlos. Die Workshopplätze sind begrenzt, daher bitte anmelden. Mehr Infos unter www.literaturszene.berlin/branchentreff.

Interview Susanne Messmer

taz: Frau Deloglu, stimmt das Klischee vom armen Dichter noch, der allein in seinem Kämmerlein arbeitet?

Katharina Deloglu: Ja, aber nicht, weil er kein Wissen teilen will, sondern weil er derart am Limit der Belastbarkeit arbeitet, dass keine Zeit für Vernetzung oder für politische Forderungen bleibt.

Welche politischen Forderungen stellen Sie?

Wir haben vom Literaturhaus Lettrétage gemeinsam mit einigen anderen KollegInnen vor zwei Jahren den Verein Netzwerk freie Literaturszene gegründet. Viele denken beispielsweise, dass Künstler Ateliers brauchen und Musiker Studios, dass aber Schriftsteller ruhig am Küchentisch arbeiten können. Also fordern wir beispielsweise Arbeitsräume.

Auch bessere Bezahlung?

Wir fordern mehr Autoren- und Übersetzerstipendien. Soeben haben wir bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur eine Honorarordnung eingereicht, in der wir Mindesthonorare für Autoren von 400 Euro für eine Einzel­lesung, 250 Euro für die Moderation einer Veranstaltung und 280 Euro Tageshonorar für die künstlerische Leitung eines Projekts im Literaturbereich fordern.

Das ist ambitioniert. Viele Autoren und Veranstalter verdienen oft gerade mal die Hälfte an ihren Veranstaltungen.

Professionelle Arbeit muss auch professionell bezahlt werden. Da setzt gerade ein Umdenken ein, über das ich sehr froh bin.

Was lernt man in Ihrem Workshop, den Sie im Rahmen des zweiten Branchentreffs Literatur im HKW anbieten?

Der Workshop richtet sich an freie Literaturveranstalter, die ihr erstes großes Projekt planen. Man lernt, was überhaupt hinter dem politischen Förderwillen steckt. Wo gibt es eigentlich öffentliche Gelder – und wofür? Wie schreibt man Förderanträge und Finanzpläne, sodass sie auch erfolgreich sind? Es wird aber auch darum gehen, was zu tun ist, wenn man tatsächlich Gelder bekommen hat. Was bezahlt der Förderer, was nicht? Wie rufe ich die Gelder ab? Wie belege ich meine Ausgaben?

Ist es nicht sehr freigebig, dass Sie anderen ohne Gegenleistung ihr Know-how vermitteln? Es gibt schließlich ganze Agenturen, die sich für das Schrei­ben von Förderanträgen bezahlen lassen …

Katharina Deloglu,

geboren 1976, ist neben Moritz Malsch und Tom Bresemann Mitgründerin des Literaturhauses Lettrétage.

Ich finde, es gibt viel zu viele qualitativ hochwertige Projekte in Berlin, die absolut förderwürdig wären. Aber viele Projektmacher trauen sich einfach nicht – oder haben schlichtweg keine Ahnung, wie sie an öffentliche Mittel rankommen. Manche wissen auch nicht, welche Möglichkeiten sie überhaupt hätten.

Sehen Sie sich manchmal selbst, wie Sie mit Mitstreitern vor elf Jahren das Literaturhaus Lettrétage eröffneten?

Absolut. Viele Kollegen befinden sich in Situationen, in denen wir mit der Lettrétage auch schon mal steckten – oder de facto heute immer noch stecken. Aber da hat es keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken. Austausch, Kooperation und das gemeinsame Auftreten gegenüber der Politik bringen uns alle weiter.

Warum ist Vernetzung im Literaturbetrieb so wichtig?

Literaturveranstaltungen erfordern immer Teams, die diese umsetzen. Gerade weil die Akteure in der freien Literaturszene nicht die personellen Ressourcen von dauerhaft geförderten Institutionen zur Verfügung haben, braucht es für die Umsetzung von Veranstaltungsprojekten jedes Mal Leute mit sehr verschiedenen Kompetenzen. In der freien Literaturszene wird von Projekt zu Projekt gefördert, wir sind alle Zeitarbeiter. Umso wichtiger ist es, nicht immer wieder von vorn anfangen zu müssen. Die dauerhaften und kollegialen Beziehungen sind überlebensnotwendig. Man muss einfach aus den Erfahrung der anderen schöpfen.