NOCH EIN LETZTES BIER IN BERLIN. DANN IST ENDLICH RUHE
: Ich mache Platz

JULIA SEELIGER

Das Wetter-Applet zeigt Minus fünf Grad. Für Berlin. Als ich nach Berlin zog, schneite es. Damals, 2005, während meiner WG-Suche übernachtete ich im Stadtteil Lichtenberg, wo es nicht nur Nazis gab, sondern auch Züge an romantische Orte wie Kiew, Oslo, Moskau. Lichtenberg, winterlich, Braunkohleodem. Im Fernsehen lief ein Beitrag über den Berliner Bankenskandal, vertont mit „Berlin, du bist so wunderbar“ von Kaiserbase. Alles war möglich. Alles war neu.

Es ist immer noch schön. Gestern Nacht spazierte ich durch den Görlitzer Park. Auf dem Weg zum letzten Bier – nicht so wie Benjamin von Stuckrad-Barre für die nächsten sechs Jahre, wie er in der Welt berichtete, sondern das letzte Bier in Berlin.

Vollmond, Raureif, Kreuzberger Nacht. Nebel über der Kuhle. Da müsste man mal eine Technoparty machen, am besten jetzt, im Spätherbst. Wenn nur die Anwohner nicht wären. Die beklagen sich dann sicher, die Kreuzberger nicht besser als die Spießer im Prenzlauer Berg, die da die Feierkultur kaputt gemacht haben. Ohne einem Hund oder anderen gefährlichen Tieren zu begegnen, schaffe ich es in die Kneipe.

Am Mittag war ich noch einmal auf der Fressmeile. Alles da – Japaner, Mexikaner, Schwabe. Die Touristen haben große Auswahl auf der Wiener Straße. Ich entscheide mich für veganes Fastfood. Burger, Pommes und Salat. Auch nicht anders als im Sportverein in Braunschweig.

Oder doch besser? Berlin als ein Ort für linke und ökologische Lebensweisen, da ist schon mehr möglich als in der Kleinstadt. Ich gebe es zu. Das gute Leben, es ist möglich. Auch in der Stadt.

Dann muss man eben auf der Brücke gemütlich chillen – mit Blick auf den Ostbahnhof, die Schienen, den Fernsehturm, die Plattenbauten und die große flache Weite. Berlin, du bist so wunderbar!

Nur nicht theatralisch werden, sagt der nervige Kommentatortroll in meinem Hirn. Berlin ist nur 1:39 Stunden mit dem ICE entfernt und außerdem ist Berlin eh nicht das, für das es alle halten. Zieh doch mal nach New York, Rio de Janeiro, Beirut oder Katmandu, du Langweilerin. Techno ist überbewertet und in Berlin reden sich eh alle nur das Abhängen schön.

Ich mache Platz. Wohnraum in Berlin-Kreuzberg wird frei. Platz für Neuberliner. Die mit großen Augen durch die Straßen gehen und sich freuen, endlich dazuzugehören. Die das Neue noch sehen und nicht wie ich die Stadt so sehr in sich aufgenommen haben, dass das harte, kalte Berlin-Gefühl weg ist.

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Freitag Jürn Kruse Fernsehen

Montag Kübra Gümüsay Das Tuch

Dienstag Deniz Yücel Besser

Berlin soll wie Ostbahnhof und Russland sein, Karl-Marx-Allee und Alexanderplatz. Früher waren wir in leerstehenden Etagen mit blinkenden Lichtern. Die sind jetzt woanders und ich bin da nicht mehr. In Prenzlauer Berg soll es wieder leere Wohnungen mit Technoparties geben. Die Gentrifizierung geht um, vielleicht ist sie bald einmal im Kreis herum. Trendkarussel. Ich steige aus.

Acht Jahre ist die magische Zahl. Wer es acht Jahre in Berlin ausgehalten hat, bleibt. Ich blieb sieben Jahre und das ist jetzt auch gut so. Jetzt ist Ruhe.

In Hamburg ist es wärmer. Dafür regnet es immer.