Das Glück versucht

Berliner Ensemble feiert: Seit 125 Jahren existiert das Theater, Max Reinhardt und Bertolt Brecht gehören zu seiner Geschichte

Der Turm hat seinen Sinn: Gesehen werden sollte das BE. Das Foto stammt von 1941Foto: unbekannt

Von Katrin Bettina Müller

Endlich habe ich sie gesehen. Die legendären Räder eines T-34-Panzers, auf denen bis heute die Drehbühne im Berliner Ensemble so geschmeidig läuft. Die Geschichte dazu geht so: Als Brecht 1954 das Theater am Schiffbauerdamm übernommen hatte, ließ er den Durchmesser der Drehbühne von 9 auf 12 Meter vergrößern. Helene Weigel, die Intendantin an seiner Seite, suchte mit einem technischen Direktor die sowjetische Kulturadministration auf und schwatzte den Verantwortlichen die Räder eines zerstörten T-34-Panzers, erbeutet von der deutschen Wehrmacht, ab. Gleich zwei Sätze davon, einen für die Reserve.

Die liegen nun in der Unterbühne, ehrfürchtig bestaunt von einem kleinen Trupp Journalisten, denen Werner Riemann hier die heroischen Episoden aus der Geschichte des Berliner Ensembles serviert. Riemann war schon Kleindarsteller hier, als Brecht und Weigel noch an dem Theater arbeiteten. Er imitiert hervorragend ihre symbio­tische Beziehung: „Kinder, wo ist der Brecht“, die Weigel mit tiefer Altstimme, zuständig für alles Organisatorische, „Holt mir doch mal die Weigel“, etwas genervt der Dichter.

Party: Am 18. November, ab 22 Uhr, heißt es im Großen Salon feiern. Freier Eintritt, mit den DJs Mathias Munk Modica, Polly, Colonel Schneider und Friedrich Lichtenstein.

Bertolt Brecht: Selbstverständlich wird er gespielt, „Der Kaukasische Kreidekreis“, inszeniert von Michael Thalheimer, am 18. 11. um 19.30 Uhr, 19. 11. um 16 Uhr.

Atem der Geschichte: An dem kann man schnuppern in Führungen mit dem sehr freundlichen und voller Geschichten steckenden Werner Riemann, 19. 11., 11 + 13 Uhr.

Riemanns Geschichte an diesem Haus ist lang, der Intendant Oliver Reese hat gerade in dieser Spielzeit begonnen. Und kann gleich zu einer Feier laden, 125 Jahre Theater am Schiffbauerdamm. Bei einem Pressetermin stellen Wolfgang Jansen, Theaterhistoriker, und Erdmut Wizisla, Leiter des Brecht-Archivs an der Akademie der Künste, Höhepunkte der Geschichte vor. Das wird sehr schnell sehr beeindruckend.

Zuerst wird geklärt, warum das Theater einen Turm hat. Als der Architekt Heinrich Seeling das 1892 eröffnete Haus, das zuerst Neues Theater hieß, baute, war es rundum von Wohnhäusern eingeschlossen. Der heutige Brechtplatz davor war dicht bebaut. Der Turm verlieh dem Haus Sichtbarkeit zur Straße und zur Weidendammer Brücke hin.

Das Geschäft des Theatermachens war ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Schwung gekommen, aber auch mit großen finanziellen Risiken behaftet. Öffentliche Subventionen gab es nicht. Jansen erzählt von dem jungen Schauspieler Ernst Josef Aufricht, der sich 1928 an die Leitung des Theaters wagte und für die Konzession zur Sicherheit 50.000 Reichsmark bei einer Bank hinterlegen musste, von seinem Vater geliehen. Der Bankdirektor führte ihn in die Toilette und meinte, das Geld das Klo runterspülen wäre mit weniger Ärger verbunden. Aufricht wechselte die Bank, brachte „Die Dreigroschenoper“ von Brecht heraus, die ein Jahr lang lief, mit großem Erfolg, und Brecht berühmt machte. Pleite ging Aufricht trotzdem und gab 1931 auf.

Geld im Klo runterzuspülen wäre mit weniger Ärger verbunden, als es ins Theater zu investieren

Schon zuvor gab es legendäre Momente. Manchmal reichte eine einzige Aufführung, um Theatergeschichte zu schreiben. „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann waren mit einem Verbot der öffentlichen Aufführung belegt. Aber sie durften in einer geschlossenen Sonntagnachmittagsvorstellung des Vereins Freie Bühne laufen, eigens zur Umgehung der Zensur gegründet. „Aufreizend könnte dieses Schauspiel höchstens auf schlesische Weber wirken, und die kommen selten ins Theater“, kritisierte „Das kleine Journal“, aber dem Naturalismus in Sprache und Darstellung und den sozialkritischen Themen war trotzdem eine Tür geöffnet.

Theatergeschichte schrieb auch Max Reinhardt an diesem Haus, der sich zusammen mit seinem Bruder Edmond in die Geschäfte stürzte. Jansen gerät ins Schwärmen, erzählt er allein von den technischen Neuerungen, die Illusion und Verzauberung beflügelten. Elektrifizierung! Farbiges Licht! Waldduft! Künstliches Moos, raschelnde Blätter, der Wald in Shakespeares Sommernachtstraum erprobte neue Mittel, die zu einem eigenen Stil im Spiel führten. Eine Geburt des Regietheaters, durchaus.

Geld ins Klo zu spülen wäre mit weniger Ärger verbunden, als es ins Theater zu stecken

Viele der Namen derer, die ihr Glück am Haus versuchten, manchmal nur Monate durchhielten, kennt man heute nicht mehr. Wie etwa die Schauspielerin und Kurzzeit-Direktorin Nuscha Butze, die Reinhardt vorausging. Oder Max Monti, der immerhin zwanzig Jahre lang, bis 1928, an diesem Ort Montis Operettentheater führte. Es ist doch eigenartig, dass die Zeiten der leichten Muse und der zumindest geschäftlich erfolgreichen Theatermacher so viel weniger Spuren im Theatergedächtnis hinterlassen haben. Als wäre das Leichte eben doch auch viel schneller verflogen.

Und überhaupt. Das schöne Phänomen öffentlicher Förderung der Kunst hat in der Geschichte dieses Hauses gerade mal etwas über die Hälfte der Zeit gegriffen. Das kann einem zu denken geben, dass dieses Gut nicht selbstverständlich ist und geschützt und gepflegt werden muss.