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„Man möchte diese Urnen gern anfassen“

Die Hamburger Künstlerin Ina Hattebier umhüllt Urnen mit Nepal-Papier, dessen Fasern man spürt

Foto: privat

Ina Hattebier, Jg. 1961, hat visuelle Kommunikation und Freie Kunst studiert, 2012 eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin absolviert und mit der Gestaltung von Urnen begonnen. Seit 25 Jahren ist sie zudem Dozentin an der Hamburger Design Factory.

Interview Petra Schellen

taz: Frau Hattebier, warum benutzen Sie Urnen aus dem Biowerkstoff Lignin?

Ina Hattebier: Weil es zu 100 Prozent ökologisch abbaubar ist. Das ist übrigens nicht meine Erfindung. Dieses Material wird seit rund zehn Jahren verstärkt für Urnen verwendet, weil der Gedanke, dass sich etwas auflöst, heute positiver besetzt ist. Bis dato war es noch wichtig, dass eine Urne Bestand hatte und quasi für die Ewigkeit aufbewahrt werden konnte.

Wie entsteht Lignin?

Es ist eigentlich ein Abfallprodukt der Papierindustrie. Um holzfreies Papier herzustellen, entzieht man den Pflanzen Lignin, das in der Natur dazu führt, dass die Stängel verholzen und letztlich Bäume entstehen.

Wird das nepalesische Papier, mit dem Sie die Urnen umhüllen, genauso nachhaltig produziert?

Ja. Ich arbeite mit einer Firma zusammen, die in der Nähe von Kathmandu lokale Händler unterstützt und hilft, die zugehörigen Lokta-Plantagen aufzubauen, damit dieses alte Handwerk in Nepal weiter betrieben werden kann.

Was ist Lokta?

Seidelbast. Es ist die Rinde eines Strauchs, die gekocht und aufgeweicht wird, wobei die Fasern sicht- und spürbar bleiben. Das macht den Charme dieses Papiers aus. Da wird Bogen für Bogen einzeln handgeschöpft und an der Sonne getrocknet – anders als hierzulande, wo man Pflanzenfasern in Wasser auflöst, durch ein Sieb gibt und einen so feinen, gleichmäßigen Papierbogen schöpft, dass man die Fasern nicht mehr sehen und fühlen kann.

Warum musste es ausgerechnet Nepal-Papier sein?

Da ich selbst mit handgeschöpftem Papier arbeite, habe ich auch andere Papiere sehr genau geprüft und verglichen. Ausschlaggebend war die haptische und ästhetische Qualität: Wie sieht das aus, wie fasst es sich an?

Wer konzipiert die aufgedruckten Muster?

Die nepalesischen Hersteller.

Wissen sie, dass sie Papier für Urnen fertigen?

Ich glaube nicht. Sie stellen dieses hochwertige Papier eigentlich her, um Dinge einzupacken, Schränke damit auszulegen oder für Buchbindearbeiten.

Wie kamen Sie darauf, papierumhüllte Urnen anzubieten?

Über das Material. Ich fand, das Papier hat eine so angenehme Oberfläche, dass die Urne ein ganz andere Ausstrahlung bekommt. Man möchte sie anfassen.

Aber eine Urne wird ja kaum angefasst.

Leider selten, aber auf der Abschiedsfeier spielt sie die Hauptrolle, alle Augen sind auf sie gerichtet, das bleibt in Erinnerung. Für mich ist das wie eine Ausstellung – für eine Künstlerin eine ganz normale Sache: Ich mache etwas – in diesem Fall die Urne –, das eine bestimmte Dauer hat und habe ein gutes Gefühl dabei, wenn das danach verschwindet. Das ist anders als im Kunstbetrieb, wo man sagt, ich muss die Werke aufbewahren. Das brauche ich bei der Urne nicht. Sie hat ihren Auftritt, wird danach wieder den Elementen übergeben und kann sich dort weiter verändern.

Warum haben Sie das Thema „Tod“ überhaupt zum Beruf gemacht?

Es hat sich heimlich in meine Arbeit geschlichen. Angefangen hat es damit, dass mich ein befreundeter Fotograf fragte, ob ich mit meinen Studierenden nicht ein Projekt für das „Hamburg Leuchtfeuer-Hospiz“ konzipieren wolle. Daraufhin haben wir ein Kochbuch erstellt, für das die Studierenden Design- und Layout-Entwürfe schufen. Und weil ich das ganze Thema vorbereiten und so verpacken musste, dass meine Studierenden etwas damit anfangen konnten, habe ich angefangen, mich selbst stärker damit zu befassen.

Und eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin absolviert.

Ja. Ich dachte, wenn ich mich beruflich mehr mit dem Thema beschäftigen will, möchte ich auch geklärt haben, wie ich persönlich dazu stehe. Dabei habe ich bemerkt: Die Angst vorm Sterben bleibt, aber vor allem empfinde ich Neugier angesichts dieser Leerstelle, dem angeblichen gesellschaftlichen Tabu. Die einjährige Ausbildung zur Trauerbegleiterin war für mich einerseits Informationsquelle und andererseits ein persönlicher Klärungsprozess.

Und wer sind Ihre Kunden?

Einerseits beliefere ich Bestattungsunternehmen, dann kenne ich die Kunden nicht. Wenn ich aber an Privatleute verkaufe, natürlich schon. Und wenn ich auf Design-Messen ausstelle – deren Publikum mir näher liegt als das von Bestattungsmessen –, bekomme ich hautnah mit, wie die Menschen reagieren.

Sind vor allem Frauen interessiert?

Nicht nur. Es gibt auch Männer, die sagen: „Guck mal, die St. Pauli-Urne ist toll. Darf ich die fotografieren?“

Bestellen manche ihre eigene Urne?

Solche Anfragen hat es gegeben, aber davon rate ich ab. Denn man verändert sich ja, und was mir heute gefällt, mag ich in fünf Jahren vielleicht nicht mehr. Aber solche Ansinnen sind selten. Meistens suchen Menschen die Urne für einen gerade eingetretenen Todesfall aus. Das wirklich Spannende an solchen Messen ist aber, dass man ins Gespräch kommt.

Zum Beispiel?

Da kommen Mutter und Tochter an meinen Stand, und die Mutter sagt: „Ich will eine Seebestattung, ich brauche keine Urne.“ Da sagt die Tochter: „Das höre ich zum ersten Mal.“ Man kann also auch Gespräche stiften. Es heißt oft, der Tod sei ein Tabu. Ich mache eine andere Erfahrung: 50 Prozent der Leute sind froh, wenn sie jemandem ihre Fragen stellen können.