Kommentar Urteil im Fall Mladić: Er zeigte nie Bedauern

Das UN-Tribunal hat im Fall Mladić getan, was es tun musste. Die Vorraussetzungen für Versöhnung sind dennoch schlecht.

Eine Frau lehnt sich an einen Grabstein

Schwierige Versöhnung: Hinterbliebene in einer Gedenkstätte bei Srebrenica Foto: reuters

Das UN-Tribunal konnte kein anderes Urteil aussprechen als „lebenslänglich“. In dem vierjährigen Prozess ist es ihm gelungen, die Beweise für die Verbrechen der ethnischen Säuberungen sehr genau zu rekonstruieren und die persönliche Schuld des Ratko Mladić nachzuweisen. Ein anderes Urteil hätte das Ansehen des Gerichts beschädigt. Als die Strafe gegen den politischen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, vor einem Jahr mit nur 40 Jahren Haft beziffert und der Hauptideologe des serbischen Extremismus, Vojislav Šešelj, sogar freigesprochen wurde, kamen Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit auf.

Und doch bleibt Bitterkeit, wenn auch bei vielen Überlebenden in Bosnien und im Gerichtsaal Erleichterung vorherrschte und das Urteil für sie doch auch so etwas wie „Gerechtigkeit“ signalisiert. Zwar ist nun vor aller Welt dokumentiert, was damals geschehen ist. Doch enttäuscht müssen die Überlebenden darüber sein, dass die Verbrechen der ethnischen Säuberungen im Jahre 1992, als mehrere Zehntausend Menschen ermordet wurden und 2 Millionen aus ihrer Heimat vertrieben, als Konzentrations- und Vergewaltigungslager aufgebaut wurden, vom Gericht nicht als Genozid eingestuft worden sind.

Nach Lesart des Gerichts habe es nur in Srebrenica einen Genozid gegeben. So ermöglicht das Urteil den Behörden der von Ratko Mladić durch Krieg und Vertreibung geschaffenen serbischen Teilrepublik, die Ereignisse in ihren eigenen Gemeinden herunterzuspielen. Das sind schlechte Vorzeichen für einen Versöhnungsprozess. Der wäre erst möglich, wenn in der serbischen Öffentlichkeit eine echte und offene Debatte über die eigene Vergangenheit stattfinden würde.

Danach aber sieht es trotz des Den Haager Urteils nicht aus. Denn die meisten Serben in der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska sehen Ratko Maldić als „ihren General“ an, der sie lediglich verteidigt habe. Die Anklagen seien eine Erfindung böswilliger Mächte und der Bosniaken in Bosnien und Herzegowina. Mladić selbst gab bei Gericht den Takt vor. „Alles Lüge“, schrie er, „Ihr seid alle Lügner.“ Er hatte den Ausführungen des Richters zunächst teils mit versteinerter Miene und Kopfschütteln, teils mit einem Grinsen im Gesicht zugehört. Doch dann sprang er auf und wurde des Saals verwiesen. Das war kein zufälliger Eklat. Er passt zu Mladić’ Denken. All die Jahre vor Gericht zeigte er niemals Bedauern, niemals Empathie für die Opfer, nur Abwehr.

Geschlossene Gedankenwelt

Hannah Ahrendt zeichnete Adolf Eichmann als kleinen Bürokraten, als normalen Kleinbürger seiner Zeit. Die Profanität war für sie das Erschreckende. Bei Mladić liegen die Dinge etwas anders. Die Gedankenwelt der serbischen Nationalisten ist ein geschlossenes System, der Krieg in Bosnien und Herzegowina erscheint für sie als ein Kampf für das Überleben der Nation. In der serbischen Geschichtsauffassung sind die Serben seit der verlorenen Schlacht gegen die Osmanen von 1389 auf dem Kosovo Polje immer wieder Opfer der Geschichte.

Als Mladić nach dem Einmarsch seiner Truppen in Srebrenica am 11. Juli 1995 erklärte, das sei „die Rache an den Türken für Kosovo Polje“, er gebe „das befreite Srebrenica an das serbische Volk zurück“, gerierte er sich ganz bewusst als Teil eines historischen Prozesses. Die damit verbundenen monströsen Verbrechen werden in dieser Denkweise legitimiert. Folgerichtig kann Mladić die Verbrechen nicht zugeben, er möchte als Held in die serbische Geschichte eingehen. Die Opposition, das andere Serbien, beschränkt sich auf wenige Intellektuelle, auf die Belgrader Szene, auf jene, die eine solch antiquierte und primitive Geschichtsauffassung nicht teilen wollen. Sie sehen in Mladić einen Verbrecher, der die serbische Nation an den Pranger gestellt hat.

Doch die Mehrheit der serbischen Bevölkerung teilt leider immer noch die Sichtweise Mladić’. Das sind keine guten Voraussetzungen für einen Versöhnungs-, nicht einmal für einen Friedensprozess. Das UN-Tribunal immerhin hat im Fall Mladić getan, was es tun musste.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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