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: Mutter der Derbys

Vom Verwandtschaftsverhältnis des Spiels Schalke gegen Dortmund zu anderen Nachbarschaftsduellen

Das Derby kann kommen. Das Schalker Team, dem Trainer Domenico Tedesco zu Demut geraten hat, nachdem es zur Verwunderung auch der eigenen Anhänger auf den zweiten Tabellenplatz geklettert ist, will zeigen, ob es das Zeug hat zur Nummer eins im Revier. Bei Borussia Dortmund weiß nicht nur der gefährdete Trainer Peter Bosz, dass es ernst ist nach einer Niederlagenserie, von der alle meinen, sie sei hausgemacht. Selbst der als Lebemann in Verruf geratene Pierre-Emerick Aubameyang scheint auf das Spiel fokussiert zu sein. Er hat die Bäume zuschneiden lassen, die von dem Grundstück einer Villa, die ihm gehört in die Hecke einer Nachbarin gewachsen waren, worüber die sich in bitterbösen Briefen beklagt hatte. Der Stürmer hat also den Kopf frei für das Spiel. Taktisch sei Ähnliches zu erwarten wie in den Vorjahren, lässt die Polizei mitteilen, die die Trennung der verfeindeten Fanlager genauso organisieren will wie im Jahr zuvor. 1.500 Polizeibeamte seien gut vorbereitet worden auf die „Mutter aller Derbys“, wie Polizeisprecherin Cornelia Weigandt meinte.

Sie wäre gewiss froh, wenn am Ende des Spieltags niemand von der „Mutter aller Schlachten“ sprechen würde, so wie es Saddam Hussein getan hat, als er im September 1990 den USA den totalen Krieg versprochen hat, sollten sie gegen ihn marschieren. Der Mutter-Superlativ ist eine der wenigen Hinterlassenschaften des damaligen irakischen Staatschefs, deren man sich bis heute gern bedient. Die USA verfügen über die „Mutter aller Bomben“, und es war Steve Sampson, der Trainer des US-Teams, der das Fußballspiel der USA gegen die Islamische Republik Iran bei der Weltmeisterschaft 1998 als „Mutter aller Spiele“ bezeichnet hat.

Nun steht also die Mutter aller Derbys an. Das größte, wichtigste, traditionsreichste und sonst auch irgendwie superne Spiel zweier Mannschaften aus der selben Gegend war übrigens nicht immer das Revierderby zwischen Dortmund und Schalke. 263-mal haben der 1. FC Nürnberg und die SpVgg Fürth seit 1904 gegeneinander gespielt. Schalke und Dortmund spielen am Samstag erst zum 151. Mal in einem Pflichtspiel gegeneinander.

Die beiden Klubs aus dem Pott mögen Fans haben, die bereit wären für ihre Sache in den Krieg zu ziehen, doch auch die Geschichten, die vom Frankenderby erzählt werden, sind nicht ohne. In den 1920er Jahren spielten beide Mannschaften regelmäßig gegeneinander um die deutsche Meisterschaft. Sie stellten dementsprechend viele Nationalspieler. Als sich sieben Fürther und vier Nürnberger Auswahlspieler 1924 im Zug auf die Reise zu einem Länderspiel gemacht haben, sollen sie auf nach Klubs getrennten Abteils bestanden haben. Gesprochen haben sie ohnehin nicht miteinander, weshalb man vielleicht von der Großmutter aller deutschen Derbys sprechen könnte.

Zu den heimeligen Geschichten aus der Wohlfühlwelt der Nationalmannschaft dieser Tage würden Geschichten über streitende Profis aus Dortmund und Schalke gewiss nicht passen. Man redet miteinander. Vielleicht ist deshalb die Ruhrkohle AG auf die Idee gekommen, anlässlich der Feierlichkeiten zum Ende des Steinkohleabbaus 2018, ein Spiel zwischen der polnischen Nationalmannschaft und einem Team mit Spielern aus Dortmund und Gelsenkirchen anzukündigen. Dass dieses Erinnerungsspektakel, mit dem an die Verdienste polnischer Arbeiter bei der Industrialisierung des Reviers gedacht werden sollte, so einfach nicht über die Bühne gehen würde, war schnell klar. Es gab heftige Proteste in den Fankurven. Auch wenn alles friedlich bleibt am Samstag – die Partie Dortmund gegen Schalke wird wohl nie zur Mutter aller Freundschaftspiele.

Andreas Rüttenauer