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: Die Verdammten dieser Erde

„Frantz Fanon – Black Skin White Mask“ Foto: (GB 1996; Regie: Isaac Julien und Mark Nash)Die DVD ist als Import ab rund 14 Euro erhältlich.

Frantz Fanon, 1925 auf Martinique geboren, ging nach Frankreich, um Psychiater zu werden, leitete eine Klinik in Blida-Joinville in Algerien, gab den Job aber auf, um sich im algerischen Befreiungskampf zu engagieren. Mit 36 Jahren starb er an Leukämie und hat die algerische Unabhängigkeit nicht mehr erlebt. Fanon hat jedoch zwei Bücher geschrieben, die zu Klassikern des postkolonialen Denkens wurden. „Schwarze Haut, weiße Masken“ von 1952, in dem er mit Hilfe der Theorien von Freud, Lacan und Sartre die Entfremdung analysiert, die der internalisierte Blick der Weißen für das schwarze, kolonialisierte Subjekt produziert. Bis heute in allen Postkolonialismus-Seminaren gelesen, aber auch wegen seiner Verteidigung des gewaltsamen Widerstands heftig umstritten ist das weit radikalere „Die Verdammten dieser Erde“, das kurz vor Fanons Tod mit einem Vorwort Sartres erschien.

Stuart Hall, 1932 auf Jamaika geboren, 2014 gestorben, ging 1952 mit einem Stipendium nach Oxford, wurde einer der Begründer der unorthodox marxistischen Zeitschrift New Left Review, lehrte in Birmingham, wo er das wichtige Centre for Contemporary Cultural Studies leitete, ging dann als Professor für Soziologie an die Fernuni „Open University“. Mit einer großen Zahl von Aufsätzen wurde er der wohl wichtigste Denker der britischen Cultural Studies, der viele Strömungen der Theorie-Linken in eigener Weise verband: marxistisch, postkolonial, mit strukturalistisch inspirierter Medientheorie und poststrukturalistisch inspirierter Repräsentationsanalyse.

Isaac Julien, 1960 als Sohn von Einwanderern vom karibischen Inselstaat St. Lucia in London geboren, hat dort an einer Kunsthochschule Malerei und Film studiert und 1989 mit „Looking for Langston“, einer poetischen Mischung aus Doku und Drama, die den schwarzen (und, closeted, schwulen) Dichter Langston Hughes als wichtigste Stimme der Harlem Renaissance der 20er Jahre erinnert und feiert, internationales Aufsehen erregt. Seitdem feiert Julien Erfolge im Film wie in der Kunst, mit Werken, die sich, in jedem Sinn queer, sehr bewusst nie ganz auf das eine oder andere festlegen lassen und auf Filmfestivals wie auf Kunstbiennalen zu sehen sind. Auf der vorletzten Biennale in Venedig waren Inszenierungen Juliens rund um Marx’„Kapital“ präsentiert.

Ein letztes Mal trat der von Julien verehrte Stuart Hall darin auf. Schon bei „Looking for Langston“ war seine Stimme als Voiceover (neben der von Toni Morrison) zu hören. Und in „Frantz Fanon – Black Skin White Mask“, dem 1996 veröffentlichten Film von Isaac Julien (und dem Filmkritiker Mark Nash) über Fanon, ist Hall der charismatischste Talking Head. Wie sich bei Julien fast von selbst versteht, gibt es neben wunderbar theoriefreudigen Gesprächen mit Experten sowie Erinnerungen von Bruder und Sohn Frantz Fanons andere Bilder, Töne und Formen. Außerdem symbolisch-­abstrakte Bilder und kitschverdächtige Zwischenmusik. Der Schauspieler Colin Salmon spricht Texte Fanons und tritt in Spielszenen auf, die ihre Künstlichkeit ausstellen, statt sie zu verbergen. Dazu kommen dokumentarische Aufnahmen, die wie selbstverständlich neben Szenen aus Gillo Pontecorvos Spielfilm „Schlacht um Algier“ stehen.

„Frantz Fanon – Black Skin White Mask“ ist nicht lang, aber hinreißend dicht. Ein Gewebe, das sich der Genre-Festlegung so elegant wie gründlich entzieht. Schön, aber auch höchste Zeit, dass das British Film Institute den Film mit einer DVD-Edition kanonisiert.

Ekkehard Knörer