Übler Streich

Wie es ist, wenn die FreundInnen aufs Gymnasium kommen und man selber nicht

Von Anna Hoops

Schullaufbahnempfehlung. 23 Buchstaben, die nicht im Ansatz die Tragweite dieser Entscheidung vermitteln können. Lebenswegbestimmung könnte da auch stehen. In meinem Zeugnis stand nach der Orientierungsstufe (OS) in der sechsten Klasse das Wort: Realschulempfehlung. Nach vier Jahren, in denen ich lernbegeistert, wissbegierig und auch ein bisschen streberhaft in der Grundschule durchgestartet war, hatte ich in der OS einen Hänger. Es fiel mir nicht leicht, Englisch zu lernen. Meine Abneigung gegen das Fach begann schon in der ersten Stunde, als wir neue, englische Namen bekamen. Ich glaube, meiner war Angela, mit Betonung auf dem Äää. In Deutsch war ich immer gut, aber da es auch in den Naturwissenschaften haperte, entschied die gleiche Lehrerin, die sich nicht meinen deutschen Namen merken wollte, gemeinsam mit einer Kommission, dass ich wohl besser auf der Realschule aufgehoben wäre.

Meine Freundinnen kamen aufs Gymnasium. Alle. Ich fühlte mich allein und auch dumm, jedenfalls dümmer als die anderen. Auch wenn mich meine Eltern, die selbst kein Abitur gemacht haben, immer bestärkt haben. Das ist überhaupt ein erwähnenswerter Fakt. Ob es wohl einen Unterschied bei der Empfehlung meiner Lehrerin gemacht hat, dass ich nicht aus einer Akademikerfamilie komme? Meine Eltern jedenfalls haben die Realschule und die Berufe, die man mit diesem Abschluss erlernen kann, nicht als negativ empfunden. Es war der Weg, den sie gegangen sind. Warum sollte das für ihr erstgeborenes Kind schlecht sein? Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Sie konnten nicht ahnen, was danach passierte.

Ich suchte mir neue Freunde. Es waren die falschen. Ich schwänzte die Schule, in der ich mich nun überhaupt nicht mehr wohl fühlte. Weil ich seltener da war, kam ich schlechter mit und fühlte mich noch unwohler. Ein Teufelskreis. Erst nach meinem Realschulabschluss habe ich die Kurve gekriegt und auf der Berufsschule mein Abi nachgemacht – zusammen mit einer Freundin, die sich sogar von der Hauptschule hochgekämpft hatte.

Aber dafür braucht es den absoluten Willen, das zu schaffen. Man muss, nachdem man eigentlich schon fertig ist und einen Abschluss hat, weiter zur Schule gehen, sich um einen Platz bewerben und genommen werden. Wäre ich schon auf dem Gymnasium gewesen, hätte ich mich vielleicht schon bald nach der Orientierungsstufe wieder gefangen, wäre mitgeschwommen. Es ist einfacher, das Abi auf dem Gymnasium zu machen, weil man sich nicht aktiv dafür, sondern aktiv dagegen entscheiden muss. Man bleibt in seiner Klasse, kennt die Lehrer und die Herausforderungen. Und weil alle das Abi machen, macht man es auch.

Natürlich kann man nicht mit Gewissheit sagen, ob ich auf dem Gymnasium bestanden hätte, aber einen Versuch wäre es wert gewesen. Weniger intelligent als meine Freundinnen war ich nicht. Nach der Schule habe ich genau wie sie studiert und mittlerweile nicht nur einen Masterabschluss in Politikwissenschaft, sondern auch einen guten Job. Meine Lehrer von der Realschule würden das wohl nicht glauben. Meine Geschichte zeigt jedoch, dass Lehrer irren können – und Schullaufbahnempfehlungen gefährlich sind.