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: Später ist Neujahr und weiter nichts

„Body Electric“

(Brasilien 2017, Regie: Marcelo Caetano). Die DVD ist für rund 14 Euro erhältlich

Einmal, im Regen, der Blick in eine schmale Straße in einem Vorort von São Paulo hinein, von etwas über Kopfhöhe sieht man: Ein buntes Regenschirmmeer, ein Auf und Ab der Farben, man nimmt kein Individuum wahr, sondern die Menschen, die gehen, als wogendes Kollektiv unter den Schirmen halb verschwundener Körper.

Erst im Umschnitt rückt dann einer ins Zentrum, Elias (Kelner Macêdo), der jung ist und schön und wie alle anderen im Film nur einen Vornamen hat, der Männer begehrt und mit seinem nicht mehr so jungen wohlhabenden Ex und einem Hilfsarbeiter in der Kleiderfabrik, der noch jünger ist als er selbst und mit wem immer er will, wenn der andere will, auch ins Bett geht, zu zweit und zu dritt, und wenn es passt, dann sind es auch mehr.

„Body Electric“, das tolle Debüt des brasilianischen Regisseurs Marcelo Caetano, nimmt seinen Titel von einem der berühmtesten Gedichte Walt Whitmans, „I Sing the Body Electric“, einer zwar ziemlich heteroorientierten Feier des Körpers und der „flüssigen, rohen Säfte in dir oder mir“; aber gefeiert werden auch „Wangen, Schläfen, Stirn, Kinn, Kehle, Nacken, Drehpunkt des Halses // Starke Schultern, männlicher Bart, Schulterblatt und die volle Wölbung des Brustkorbs“, der Körper als Ganzes und der Körper in seinen Teilen, das Zusammenspiel der Teile des einzelnen Körpers, aber auch der vielen Körper in der „Gesellschaft mit andern“: „Ich verlange keine größere Wonne, ich schwimme darin, wie in einem Meer!“

In dieses Meer taucht Marcelo Caetano seinen Protagonisten, und in dieses Meer taucht er auch uns. Poetisch ist sein Film nicht in einem billigen Sinn. Das Prosaische nämlich wird gerade nicht poetisiert. Das Prosaische ist die tägliche Arbeit in der Fabrik. Hier wird Mode entworfen, hier werden Stoffe geschnitten und Kleider genäht, nichts Großes, alles nur für den Alltagsgebrauch.

Elias ist einer der jungen Designer, dem in seiner Schönheit und Jugend das Leben gehört, und als ihn der Vorgesetzte mal fragt, wo er sich in fünf Jahren denn sieht, da zuckt er nur mit den Schultern. Er weiß doch nicht mal, wo er sich am Abend des Tages so ganz genau sieht, aber immerhin kann er recht sicher sein: Es findet sich was oder wer.

Von Fernando (Welket Bungué), dem schönen, starken Mann aus Guinea-Bissau, der in der Fabrik gerade neu anfängt, will er was: Da wirft er entzückte und entzückende Blicke. Aber Fer­nan­do steht nur auf Frauen. Eines Abends geht Elias mit Fernando mal los, andere stoßen dazu von der Seite, ein großartiges Ineinander der Worte, der Körper, ein Sich-Zusammenschließen und Gruppen-Bilden und ein Sich-Wieder-Lösen, Elias spült es nach vorne, Fernando trödelt, bleibt weiter hinten, mit einer Frau, die Kamera fährt gleichmäßig rückwärts, als Engel dieser Geschichte, dem ein sanfter, auf gar keine große Erzählung hinaus wollender Wind die Figuren zutreibt, und diese Figuren bilden, einander beinah umtanzend, einen elektrischen Körper, in elektrisierend genauen, aber schlichten Bildern gefilmt.

Aber Fernando steht nur auf Frauen. Eines Abends geht Elias mit Fernando mal los

Mit Wellington (Lucas Andrade), dem jungen Hilfsarbeiter aus der Fabrik, hat Elias viel Sex und viel Spaß; und Wellington macht ihn mit einem Haus von Dragqueens bekannt, auf Motorrädern mit Zierleuchten und Paillettenbesatz fahren sie mit Gejohle durch die warme brasi­lia­nische Nacht oder zur Show, bei der eine Dragqueen aufreizend tanzt.

Später ist Neujahr am Strand, eine Party bringt alle zusammen im Haus des wohlhabenden Ex, der, wie alle anderen hier, keine Eifersucht kennt. Man feiert, hängt rum, ist ermüdet, alle sind weg, Elias im Meer: So geht das aus, weiter nichts, und siehe: Auch das ist sehr schön. Ekkehard Knörer