Grünes Antibiotikum ohne Lobby

Forscher der Leuphana-Universität Lüneburg haben einen Wirkstoff erzeugt, der außerhalb des Körpers zerfällt. So gelangt es nicht in die Umwelt und resistente Krankheitserreger können sich gar nicht erst bilden. Das Interesse der Pharmaindustrie hält sich aber in Grenzen

Gefährlicher Kreislauf: In der industriellen Tierhaltung wird reichlich Antibiotika eingesetzt, deren Wirkstoffe über Dünger auf dem Feld und in der Umwelt landen. So kann die Entstehung von resistenten Keimen gefördert werden. hilipp Schulze/dpa Foto: P

Von Gernot Knödler

Nehmen Mensch oder Tier Antibiotika zu sich, kommen diese auch wieder heraus. Sie gelangen bei Ausscheidungen fast unverändert in die Umwelt und können so die Entstehung von Resistenzen fördern. Lüneburger Wissenschaftler haben nun einen neuen Weg entdeckt, um Antibiotikaresistenzen vorzubeugen. Wie die Leuphana-Universität mitteilte, veränderten sie den Wirkstoff Ciprofloxacin so, dass er zerfällt, wenn er aus dem Körper ausgeschieden wird. Somit kann er auch nicht unbeabsichtigterweise von Bakterien in der Umwelt aufgenommen werden und einen Gewöhnungseffekt auslösen.

Antibiotika, die gezielt krankheitserregende Bakterien töten, gibt es erst seit 90 Jahren. Weil sie so häufig verschrieben und insbesondere in der industriellen Tierhaltung gern eingesetzt werden, sind in den vergangenen Jahren vermehrt Keime aufgetreten, denen Antibiotika nichts anhaben können, und die sogar gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Niedersachsens vormaliger Agrarminister Christian Meyer (Grüne) verwies in der taz darauf, dass allein in Deutschland jährlich 15.000 Menschen an resistenten Keimen sterben.

Ciprofloxacin ist ein verbreiteter synthetischer Wirkstoff. 33 Tonnen davon werden nach Angaben der Leuphana-Forscher jährlich allein in Deutschland in der Human- und Tiermedizin eingesetzt. Nach dem Ausscheiden aus dem Körper reichert sich der Wirkstoff in Gewässern, deren Sedimenten oder im Klärschlamm an. Er kann das Ökosystem von Gewässern beeinträchtigen und die Funktion von Kläranlagen stören. Mit der Gülle landet er als Dünger direkt auf dem Acker und wird wiederum von Nahrungspflanzen aufgenommen.

Der Lüneburger Professor Klaus Kümmerer und sein Team begegnen diesem Problem mit einem Konzept, das sie „benign by design“ („gutartig per Design“) nennen. „Es geht darum, Stoffe von Anfang an von ihrem Lebensende her zu denken und dann schon vor der ersten Synthese so zu planen, dass sie ihre Funktion möglichst gut erfüllen und am Ende ihres Lebens keine Probleme machen“, sagt Kümmerer.

Die Lüneburger wählten Ciprofloxacin als Forschungsgegenstand, weil dies häufig angewendet wird und lange in der Umwelt verbleibt. „Wir mussten das Molekül sehr genau kennenlernen“, sagt Kümmerers Mitarbeiter Christoph Leder. Dann stellte sich die Frage, an welchen Stellen es destabilisiert werden konnte, sodass es außerhalb der Blutbahn zerfiel, als Wirkstoff aber trotzdem aktiv war.

Das ist jetzt zumindest im Reagenzglas und in der Petrischale gelungen. Der veränderte Wirkstoff killt die Bakterien und zerfällt weitgehend zu Wasser und Kohlendioxid. Die Leuphana-Universität hat ein internationales Patent darauf angemeldet und sucht jetzt Partner aus der Pharmaindustrie, die daraus ein Medikament machen.

Ob das klappt, ist trotz des offensichtlichen Vorteils offen. „Die wenig innovativen Firmen sehen vielleicht den Vorteil, aber sie glauben nicht daran und viele sehen keinen Handlungsbedarf.“ Schließlich gebe es ja Kläranlagen, die sie sich mit den Rückständen allerdings schwer täten und die Abbaubarkeit werde vom Gesetzgeber nicht als Zulassungsvoraussetzung gefordert.

Antibiotikaresistenzen bezeichnet der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie als „erhebliches Problem“.

Mit der Zulassung von 18 neuen Antibiotika sei im laufenden Jahrzehnt in Deutschland zu rechnen, teilt der BPI mit. Die Entwicklungsaktivitäten hätten in jüngerer Zeit wieder zugenommen.

Wichtig sei die passgenaue Verschreibung durch den Arzt und die korrekte Anwendung durch die Patienten.

Über den normalen Hausmüll sollten abgelaufene Arzneimittel entsorgt werden – denn der wird verbrannt – keineswegs sollten sie die Toilette hinuntergespült werden.

Kümmerer und Kollegen mussten mehrere Anläufe nehmen, um Drittmittel für ihr Projekt einzuwerben: „Für manche Förderung zur Grundlagenforschung war unser Vorhaben schon wieder zu angewandt und zu interdisziplinär und für manche angewandte Förderung zu grundlagenorientiert.“

Schließlich fanden sie bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ein offenes Ohr und 460.000 Euro Fördergeld. Die vom Bund gegründete Stiftung fördert produktintegrierten Umweltschutz. „Wir versuchen zu erreichen, dass in einem sehr frühen Stadium Umweltbelastungen erst gar nicht entstehen, die hinterher mit viel Grips und Geld wieder beseitigt werden müssen“, sagt deren Sprecher Franz-Georg Elpers.

Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) findet Kümmerers Verfahren grundsätzlich „interessant aus Sicht der Resistenzbildung“. Allerdings müsse geprüft werden, wie sich das veränderte Molekül im Körper verhält und ob es von den Behörden als neuer Wirkstoff eingestuft werde.

Aus Sicht des Verbandes sollte es aber vor allem darum gehen, die existierenden Antibiotika vernünftiger einzusetzen und resistenzbrechende Wirkstoffe zu entwickeln, „die dann zum Einsatz kommen, wenn die klassischen Antibiotika versagen“. Diese seien jedoch schwer zu entwickeln. „Dafür gibt es bislang keine guten Finanzierungsmodelle“, sagt der BPI.