Ein Kind mit 16

Soziales In Bremen werden überdurchschnittlich viele Teenager schwanger. Deshalb hat der Bremer Senat schon 2008 die Situation im Land analysieren lassen. Ohne Folgen

„Die Meinung ist sehr verbreitet, dass die Mädchen funktionieren müssen wie alle anderen“

von Eiken Bruhn

Laura* ist 17, ihr Sohn eindreiviertel Jahre alt – gemeinsam leben sie im Casa Luna, einem Heim für minderjährige Schwangere sowie Mütter und deren Kinder in der Bremer Innenstadt. Fünf Mädchen werden dort in einer Wohngemeinschaft rund um die Uhr betreut. Wer schon etwas selbstständiger ist, kann in eine der Wohnungen des Vereins ziehen.

Zwischen 13 und 18 Jahre alt sind die jungen Frauen, wenn sie aufgenommen werden. Die jüngste, die jemals einzog, war eine schwangere 12-Jährige, zufällig gemeinsam mit einem gleichaltrigen Mädchen, erzählt die Leiterin der Einrichtung, Martina Teckemeier.

Weil es im Elternhaus zu eng ist oder die Familiensituation zu konfliktbeladen, kommen die werdenden Teenager-Mütter ins Casa Luna.

Wegen der großen Nachfrage – auch von etwas älteren Frauen – wird zum ersten Januar eine Dependance des Casa Luna eröffnet, in Gröpelingen. Hier ist das Aufnahmealter 16 bis 25 Jahre und auch minderjährige Väter dürften mit einziehen. Wobei Teckemeier nicht damit rechnet, dass dies häufig vorkommen wird. „Die meisten verabschieden sich nach einem halben Jahr.“ Wenn die Beziehung überhaupt so lange gehalten hat.

Beschlossen hat den Ausbau der Bremer Senat. Denn Bremen gehört gemessen an den Einwohnerzahlen zu den Bundesländern, in denen überdurchschnittlich viele Teenager schwanger werden. Dies zeigt eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die für die Jahre 2001, 2004, 2007 und 2010 die Geburten-Statistik sowie die zu Schwangerschaftsabbrüchen ausgewertet hat. Während bei letzteren Bremen mit dem anderen Stadtstaat Berlin vorne liegt, bekommen prozentual betrachtet nur in einigen ostdeutschen Bundesländern so viele Minderjährige Kinder wie in Bremen.

Dabei sind die absoluten Zahlen in Bremen gering und gehen wie überall leicht zurück. Im Jahr 2011 war ein Mädchen unter 15, als sie ihr Kind bekam, eins unter 16 und 35 weitere unter 18. Hinzu kamen 47 Teenager, die in dem Jahr eine Schwangerschaft abbrachen, fast 30 weniger als im Vorjahr.

Doch dieser Trend – der auch durch den allgemeinen Geburtenrückgang verursacht wird – kann sich schnell wieder umkehren. So werden, wie Studien von Pro Familia und der BZgA zeigen, vor allem Mädchen aus sozial benachteiligten Familien schwanger. Und: Die Herkunft entscheidet den Studien zufolge maßgeblich über den Ausgang einer Schwangerschaft. Je weniger berufliche Perspektiven eine Jugendliche hat, desto eher wird sie das Kind austragen.

Daher wären langfristige Konzepte zum Umgang mit Teenagerschwangerschaften wichtig. Das hatte der Bremer Senat schon 2008 erkannt, als er die Situation im Land Bremen analysieren ließ und ExpertInnen befragte, welchen Handlungsbedarf sie noch sehen.

Doch die aufschlussreiche Mini-Studie blieb weitgehend folgenlos. Sie endet mit einer sechsseitigen Auflistung, an welchen Punkten in Bremen Verbesserungsbedarf besteht.

Diese Liste gilt vier Jahre später noch unverändert weiter. So heißt es, dass das Angebot an sexualpädagogischer Prävention ausgebaut und die Beratung von externen ExpertInnen durchgeführt werden sollte, weil Schüler und Schülerinnen sich dann eher trauen würden, über Intimes zu sprechen.

Doch noch immer hängt es vom Engagement einzelner LehrerInnen ab, ob Externe eingeladen werden. Und, um ein anderes Beispiel zu nennen, es gibt nach wie vor nur einen Geburtsvorbereitungskurs, der sich an ganz junge Schwangere richtet: in Bremen Nord.

Die bei der Sozialsenatorin angesiedelte ressortübergreifende „Arbeitsgemeinschaft junge Mütter“, die sich für ihre Klientel einsetzen könnte, gibt es laut David Lukaßen, Sprecher der Sozialsenatorin, gar nicht mehr. Diese hatte sich vor allem vorgenommen, jungen Müttern den Zugang zu Schule und Ausbildung zu erleichtern. Denn nur wenige Arbeitgeber lassen sich auf Teilzeit-Ausbildungen ein. Und ein schulisches Angebot, das eine Kinderbetreuung mit einschließt, gibt es nur für Hauptschülerinnen. Alle anderen müssen darauf hoffen, dass ihre Lehrer und Lehrerinnen Verständnis für ihre besondere Situation haben. Von diesen aber gibt es viel zu wenige, sagt Martina Teckemeier vom Heim Casa Luna. „Die Meinung ist sehr verbreitet, dass die Mädchen funktionieren müssen wie alle anderen auch“, hat sie beobachtet. Ein großes Problem sei der frühe Schulbeginn und die mangelnde Bereitschaft, ein Auge zuzudrücken, wenn ein Mädchen zu spät kommt.

Gründe dafür gibt es genug. Bis ein Kind bei der Tagesmutter angekommen ist, muss es gefüttert und womöglich mehrmals gewickelt und angezogen werden. „Ich lade alle, die das nicht verstehen, dazu ein, sich das hier morgens mal anzugucken“, sagt Teckemeier, „wenn unsere Mütter in der Schule ankommen, haben die schon zwei Stunden gearbeitet“.

Gleichzeitig erwarten Staat und Gesellschaft von den jungen Frauen, dass sie so schnell wie möglich wieder zur Schule gehen. Auch wenn diese sich wünschen, so wie erwachsene Frauen eine Babypause zu nehmen, um Zeit mit ihrem Kind verbringen zu können.

„Es ist das klare Ziel, dass Mutter und Kind eine Perspektive bekommen, um nicht dauerhaft vom Staat abhängig zu sein“, sagt Lukaßen. Nur in Einzelfällen sei es sinnvoll, dass die Mädchen länger zu Hause blieben.

Im Casa Luna hingehen raten die Betreuerinnen fast immer zu einer sechs- bis zwölfmonatigen Elternzeit. Um die Beziehung zu festigen.